Das Echo der Traeume
anderes habe ich nicht gelernt. Wenn Sie mir diese Tür versperren, versperren Sie mir alle Möglichkeiten, denn etwas anderes habe ich nicht gelernt. Ich habe es ehrlich versucht, aber niemand will mich einstellen, weil ich sonst nichts kann. Deshalb bitte ich Sie um einen Gefallen, nur um einen einzigen: Lassen Sie mich mit diesem Modeatelier weitermachen, überwachen Sie mich nicht mehr. Vertrauen Sie mir, richten Sie mich nicht zugrunde. Die Miete für diese Wohnung und alle Möbel, die darin stehen, alles ist bis zur letzten Pesete bezahlt. Ich habe niemanden dafür betrogen und nirgendwo Schulden gemacht. Das Einzige, was dieses Geschäft braucht, ist eine Person, die es mit Engagement betreibt, und das werde ich tun. Ich bin bereit, Tag und Nacht dafür zu buckeln. Bitte lassen Sie mich einfach in Ruhe arbeiten, ich werde Ihnen keinerlei Schwierigkeiten machen, ich schwöre es bei meiner Mutter, die das Einzige ist, was ich habe. Sobald ich die Summe beisammenhabe, die ich dem Hotel in Tanger schulde, sobald ich meine Schulden beglichen habe und der Krieg zu Ende ist, werde ich zu ihr nach Madrid zurückkehren, und Sie werden nie mehr von mir hören. Aber bis dahin, Herr comisario, verlangen Sie bitte keine Erklärungen mehr von mir, sondern lassen Sie mich einfach machen. Ich bitte Sie nur um eines: Nehmen Sie mir nicht die Luft zum Atmen, ersticken Sie meine Bemühungen nicht im Keim, noch ehe ich richtig begonnen habe, denn wenn Sie das tun, werden Sie nichts gewinnen, ich hingegen alles verlieren.«
Der comisario verharrte schweigend, und auch ich sagte kein Wort mehr, beide hielten wir einfach dem Blick des anderen stand. Es war mir wider Erwarten gelungen, mit fester Stimme, ruhig und gelassen meine Erklärung vorzubringen, ohne zusammenzubrechen. Endlich einmal hatte ich alles ausgesprochen, was innerlich schon so lange an mir nagte. Plötzlich fühlte ich mich unsagbar erschöpft. Ich wollte nicht mehr daran denken, dass ein skrupelloser Kerl mich schamlos ausgenutzt hatte, dass ich monatelang in Angst gelebt und mich ständig bedroht gefühlt hatte. Ich hatte es satt, so eine schwere Schuld zu schultern, die mich umhüllte wie der Haik jene armen einheimischen Frauen, die ich oft miteinander auf der Straße gehen sah, schlurfend und gebückt, auf dem Rücken Holzbündel, Dattelbüschel, kleine Kinder, Henkelkrüge aus Ton und Säcke mit Kalk schleppend. Ich hatte es satt, mir Angst einjagen, mich demütigen zu lassen, in diesem fremden Land ein so trauriges Leben zu führen. Müde, überdrüssig, erschöpft, leer – und dennoch entschlossen, mir mit Zähnen und Klauen ein besseres Leben zu erkämpfen.
Es war der comisario, der schließlich das Schweigen brach. Doch zuerst stand er auf, ich tat es ihm nach und strich mir sorgfältig den Rock glatt. Er griff nach seinem Hut und drehte ihn ein paar Mal in den Händen. Es war nicht mehr der weiche, biegsame, sommerliche Hut, den er vor einigen Monaten getragen hatte, sondern ein dunkler Borsalino für den Winter, ein schokoladenbrauner Filzhut von guter Qualität, den er zwischen den Fingern drehte, als hätte er den Schlüssel zu seinen Gedanken in Händen. Dann hielt er inne und begann zu sprechen.
» Einverstanden. Ich will Ihrer Bitte entsprechen. Falls nicht jemand mit eindeutigen Beweisen zu mir kommt, werde ich nicht weiter untersuchen, wie Sie zu dieser Wohnung und den schönen Möbeln gekommen sind. Von jetzt an lasse ich Sie arbeiten und Ihr Geschäft voranbringen. Ich werde Sie in Ruhe lassen. Mal sehen, ob wir Glück haben und dadurch beide unsere Probleme loswerden.«
Das war alles, was er sagte, und er erwartete auch keine Antwort von mir. Kaum hatte er die letzte Silbe ausgesprochen, hob er als Geste des Abschieds kurz sein Kinn und begab sich zur Tür. Fünf Minuten später traf Señora Heinz ein. Was mir in der kurzen Zeit zwischen diesen beiden Besuchen durch den Kopf ging, ist meinem Gedächtnis entfallen. Ich erinnere mich nur daran, dass ich mich fühlte, als wäre mir ein sehr, sehr großer Stein vom Herzen gefallen, als die Deutsche läutete und ich zur Tür ging, um ihr zu öffnen.
ZWEITER TEIL
16
Im Laufe des Herbstes kamen mehr Kundinnen, meist betuchte Ausländerinnen. Meine Geschäftspartnerin, die Schmugglerin, hatte recht gehabt mit ihrer Prophezeiung. Mehrere Deutsche. Die eine oder andere Italienerin. Auch einige Spanierinnen, fast nur Gattinnen von Unternehmern, denn wegen des Aufstands war die finanzielle Lage bei
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