Das Echo der Traeume
zwar erst um elf Uhr, doch zuvor wollte ich alles perfekt vorbereiten. Jamila war noch nicht vom Markt zurück, musste aber jeden Moment kommen. Um zwanzig vor elf läutete es. Ich dachte, die Deutsche sei zu früh. Ich trug dasselbe rauchblaue Kostüm wie beim ersten Mal, als wäre es eine Art Arbeitsuniform – die pure, schlichte Eleganz. Auf diese Weise konnte ich mein schneiderisches Können zeigen und außerdem verbergen, dass ich kaum Kleidung für den Herbst besaß. Ich war bereits frisiert, perfekt geschminkt und trug die Kette mit der alten silbernen Schere um den Hals. Es fehlte nur noch eine Kleinigkeit: die unsichtbare Maske der tüchtigen Geschäftsfrau. Ich setzte sie in Gedanken schnell auf und öffnete mit gespielter Lockerheit die Tür. Und dann zog es mir schier den Boden unter den Füßen fort.
» Guten Tag, Señorita«, sagte eine altbekannte Stimme und lüftete gleichzeitig den Hut. » Darf ich hereinkommen?«
Ich schluckte.
» Guten Tag, Herr comisario. Selbstverständlich, treten Sie ein, bitte.«
Ich führte ihn in den Salon und bat ihn, Platz zu nehmen. Er schlenderte gemächlich auf einen Sessel zu, als wollte er unterdessen das ganze Zimmer in Augenschein nehmen. Er ließ den Blick über die schön gearbeiteten Stuckleisten an der Decke, die Damastvorhänge und den großen Tisch aus Mahagoni wandern, auf dem meine ausländischen Modezeitschriften auslagen. Den schönen alten, eindrucksvollen Kronleuchter, den Candelaria durch weiß Gott welche dunklen Machenschaften besorgt hatte. Ich spürte, wie mein Puls raste und mein Magen sich zusammenkrampfte.
Endlich nahm er Platz. Ich setzte mich ihm in Erwartung dessen, was er zu sagen hatte, schweigend gegenüber und bemühte mich, meine Nervosität angesichts seines unerwarteten Erscheinens nicht zu zeigen.
» Nun, wie ich sehe, läuft alles bestens bei Ihnen.«
» Ich tue, was ich kann. Ich habe angefangen zu arbeiten und erwarte gerade eine Kundin.«
» Und was genau machen Sie?«, fragte er. Er kannte die Antwort nur zu gut, doch aus irgendeinem Grund wollte er sie von mir selbst hören.
Ich bemühte mich, einen neutralen Ton anzuschlagen. Er sollte mich nicht eingeschüchtert und schuldbewusst erleben, aber genauso wenig wollte ich mich ihm als die überaus selbstsichere und resolute Frau präsentieren, die ich, wie er selbst am besten wusste, gar nicht war.
» Ich nähe. Ich bin Schneiderin«, sagte ich.
Er entgegnete nichts, sondern sah mich nur mit seinen durchdringenden Augen an und wartete darauf, dass ich fortfuhr. Ich saß sehr aufrecht auf der Sofakante, während ich mit meinen Erklärungen fortfuhr, und verzichtete auf jede Beigabe aus dem Inventar an eleganten Posen, die ich für meine neue Persönlichkeit einstudiert hatte. Kein elegantes Überkreuzen der Beine. Kein anmutiges Zurückwerfen der Haare. Nicht das leiseste Augenzwinkern. Haltung und Gelassenheit waren das Einzige, um das ich mich nach Kräften bemühte.
» Ich habe schon in Madrid genäht, mein halbes Leben habe ich mit Nadel und Faden in der Hand verbracht. Ich habe bei einer sehr angesehenen Schneiderin gearbeitet, meine Mutter war ihre Angestellte. Ich habe dort viel gelernt. Es war ein ausgezeichnetes Modeatelier, und wir nähten für die Damen der besseren Gesellschaft.«
» Ich verstehe. Ein sehr ehrenwerter Beruf. Und für wen arbeiten Sie jetzt, wenn man das erfahren darf?«
Ich musste wieder schlucken.
» Für niemanden. Ich bin mein eigener Chef.«
Er zog die Augenbrauen hoch, als wäre er sehr erstaunt.
» Und wie haben Sie es geschafft, dieses Atelier ganz allein einzurichten, wenn man fragen darf?«
Comisario Vázquez konnte sich wie ein Großinquisitor aufführen und knallhart sein, aber vor allem war er ein Gentleman, der seine Fragen äußerst höflich formulierte. Doch in dieser Höflichkeit schwang ein Hauch von Zynismus mit, den er auch gar nicht zu verbergen suchte. Er wirkte wesentlich entspannter als bei seinen Besuchen im Spital. Schade, dass ich nicht mit ebenso gedrechselten Antworten parieren konnte.
» Man hat mir Geld geliehen«, erwiderte ich schlicht.
» Was Sie nicht sagen! So ein Glück!«, bemerkte er ironisch. » Würden Sie mir freundlicherweise verraten, wer Ihnen so großzügig unter die Arme gegriffen hat?«
Zuerst dachte ich, ich könnte es nicht sagen, aber dann kam mir die Antwort einfach so über die Lippen. Prompt und ohne jedes Zögern.
» Candelaria.«
» Candelaria die Schmugglerin?«, fragte er
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