Das Echo der Traeume
beschließen, hatte schon mein Nachthemd angezogen und den langen Morgenmantel aus Samt, den ich mir genäht hatte, um die Zeit während der leeren Tage, als ich auf Kundschaft wartete, irgendwie totzuschlagen. Ich hatte mein Abendessen gerade beendet, im Salon stand noch das Tablett mit den Resten meines frugalen Mahls: Weintrauben, ein Stück Käse, ein Glas Milch, ein paar Kekse. Es war vollkommen still, die ganze Wohnung lag im Dunkeln bis auf eine Stehlampe in einer Ecke, die ich eingeschaltet hatte. Ich wunderte mich, dass um diese Zeit – es war fast elf Uhr nachts – noch jemand bei mir läutete, und so lief ich ebenso neugierig wie erschrocken zur Tür, um durch den Spion zu schauen. Als ich sah, wer es war, schob ich den Riegel zurück und öffnete.
» Guten Abend, meine Liebe. Ich hoffe, ich störe nicht.«
» Nein, nein, ich war noch auf.«
» Ich bringe Ihnen ein paar Dinge«, verkündete er und ließ mich ein Stück von den Karten aus feiner Pappe sehen, die er hinter dem Rücken versteckt hielt.
Doch anstatt sie mir zu geben, wartete er meine Reaktion ab. Ich zögerte einige Sekunden, ehe ich ihn zu dieser unpassenden Stunde einzutreten bat. Er verharrte unterdessen gleichmütig und mit einem scheinbar harmlosen Lächeln im Gesicht an der Tür, ohne mich einen Blick auf seine Arbeit werfen zu lassen.
Die Botschaft kam an. Ich würde keinen Zentimeter zu sehen bekommen, ehe ich ihn nicht in meine Wohnung gebeten hatte.
» Bitte treten Sie ein«, sagte ich schließlich.
» Danke, danke«, säuselte er, und es war ihm deutlich anzumerken, wie sehr es ihn befriedigte, sein Ziel erreicht zu haben. Er kam in Hemd und Straßenhose mit einer Hausjacke darüber. Und natürlich seiner Brille. Und mit seiner leicht affektierten Gestik.
Er sah sich mit dreister Neugier in der Diele um und ging dann in den Salon, ohne dass ich ihn dazu aufgefordert hätte.
» Ihre Wohnung gefällt mir sehr. Sie ist sehr elegant, sehr chic.«
» Danke, ich bin noch dabei, mich einzurichten. Könnten Sie mir jetzt bitte zeigen, was Sie mir bringen?«
Mehr Worte brauchte es nicht, um meinem Nachbarn zu signalisieren, dass ich ihn nicht um diese Uhrzeit hereingebeten hatte, um mit ihm über Einrichtungsfragen zu diskutieren.
» Hier haben Sie Ihre Sachen«, erwiderte er und reichte mir endlich die drei Karten, die er bislang hinter dem Rücken verborgen gehalten hatte.
Sie zeigten, mit Blei- und Pastellstift gezeichnet, aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in verschiedenen Posen ein auf wenige Striche reduziertes Mannequin in dem sonderbaren Rock, der keiner war. Mein Gesicht musste sofort verraten haben, wie angetan ich war.
» Ich nehme an, die Zeichnungen gefallen Ihnen«, sagte er sichtlich stolz.
» Sie gefallen mir sogar sehr.«
» Sie behalten sie also?«
» Natürlich. Sie haben mir wirklich sehr geholfen, was bin ich Ihnen schuldig?«
» Ein Dankeschön, mehr nicht. Nehmen Sie es als Willkommensgeschenk. Mamá sagt immer, man muss sich mit den Nachbarn gut stellen, obwohl sie von Ihnen nicht sonderlich angetan ist. Ich glaube, sie findet Sie zu forsch und ein bisschen kokett«, entgegnete er ironisch.
Ich musste lächeln, und einen Moment lang schienen wir auf der gleichen Wellenlänge zu sein. Dieser Moment war mit einem Schlag vorbei, als durch die halb offene Wohnungstür die Stimme seiner Mutter zu uns drang.
» Fééééééé-lix!« Sie zog das E in die Länge, als wäre es ein Gummiband. Kaum dass sie die erste Silbe bis zur maximalen Länge gedehnt hatte, kam die zweite wie aus der Pistole geschossen hinterher. » Fééééééé-lix!«, wiederholte sie. Worauf mein Nachbar die Augen verdrehte und mit gespielter Verzweiflung bemerkte:
» Sie kann ohne mich nicht leben, die Arme. Ich verschwinde.«
Die durchdringende Stimme der Mutter war ein drittes Mal zu hören.
» Bitte melden Sie sich jederzeit, wenn Sie meine Hilfe brauchen. Es wird mir ein Vergnügen sein, Entwürfe für Sie zu zeichnen, ich bin verrückt nach allem, was aus Paris kommt. Und nun kehre ich in meinen Kerker zurück. Gute Nacht, meine Liebe.«
Nachdem ich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, betrachtete ich die Entwurfszeichnungen noch eine ganze Weile. Sie waren wirklich unglaublich gelungen, besser, als ich mir hätte träumen lassen. Auch wenn sie nicht von mir stammten, so ging ich an jenem Abend trotzdem mit einem sehr angenehmen Gefühl zu Bett.
Am nächsten Tag stand ich zeitig auf. Meine Kundin erwartete ich
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