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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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Schritt verlangsamt und eine besondere Anstrengung abverlangt, jedoch nicht völlig verhindert, dass man auf seinem Weg vorankommt.
    All jene unsichtbaren Präsenzen – Ramiro, Ignacio, meine Mutter, das Verlorene, das Vergangene – verwandelten sich in mehr oder weniger flüchtige, mehr oder weniger aufdringliche Gefährten, mit denen ich lernen musste zu leben. Sie überfielen mich, wenn ich allein war, an den stillen Nachmittagen, wenn ich im Atelier zwischen Schnittmustern und Rollen mit Heftgarn an der Arbeit saß, wenn ich zu Bett ging oder im Halbdunkel des Salons an den Abenden ohne Félix, wenn er zu seinen heimlichen Streifzügen unterwegs war. Den restlichen Tag über ließen sie mich meistens in Ruhe. Wahrscheinlich wussten sie intuitiv, dass ich dann zu beschäftigt war, um ihnen Beachtung zu schenken. Ich hatte genug damit zu tun, mein Geschäft voranzubringen und meine erfundene Persönlichkeit weiter auszubauen.

17
    Mit dem Frühling nahm die Arbeit deutlich zu. Es wurde wärmer, und meine Kundinnen verlangten nach luftigen Kleidern für die milden Vormittage und die kommenden lauen Nächte des marokkanischen Sommers. Einige neue Gesichter kamen hinzu, darunter ein paar deutsche, in der Hauptsache aber sephardische Jüdinnen. Dank Félix erfuhr ich einiges über sie. Für gewöhnlich begegnete er meinen Kundinnen unten an der Haustür, auf der Treppe und auf der Straße, wenn sie gerade kamen oder gingen. Er erkannte sie wieder, und es bereitete ihm sichtlich Spaß, sich Stück für Stück seine Informationen über sie zusammenzusuchen, bis sich aus den einzelnen Mosaiksteinen schließlich ein Gesamtbild ergab. Er wusste einfach alles: wer sie waren, aus welchen Familien sie stammten, wohin sie gingen, woher sie kamen. Später, wenn er seine Mutter zusammengesunken in ihrem Sessel zurückließ, die Augen verdreht, während ihr der nach Anis duftende Sabber aus dem Mund lief, enthüllte er mir das Ergebnis seiner Nachforschungen.
    Auf diese Weise erfuhr ich zum Beispiel Einzelheiten über Señora Langenheim, eine der Deutschen, die schon bald Stammkundinnen wurden. Ihr Vater war italienischer Botschafter in Tanger gewesen, ihre Mutter Engländerin. Die Langenheim hatte, was in Spanien unüblich ist, den Nachnamen ihres Mannes angenommen. Dieser, ein älterer, hochgewachsener Bergbauingenieur mit Glatze, war ein angesehenes Mitglied der kleinen, aber sehr aktiven deutschen Gemeinde in Spanisch-Marokko. Einer von den Nazis, wie Félix mir berichtete, die bereits wenige Tage nach dem Aufstand auf Geheiß Hitlers die revoltierende Armee unterstützten – womit keiner gerechnet hatte, am wenigsten die Republikaner. Erst geraume Zeit später konnte ich ermessen, wie sehr der Ehemann meiner Kundin den Verlauf des Bürgerkriegs beeinflusst hatte. Doch dank Langenheim und Bernhardt – ein anderer in Tetuán ansässiger Deutscher – erhielten Francos Truppen, unverhofft und innerhalb kürzester Zeit, beträchtliche militärische Unterstützung, sodass sie die Truppen per Luftbrücke auf die Halbinsel übersetzen konnten. Für Bernhardts Frau, die zur Hälfte Argentinierin war, hatte ich auch schon etwas genäht. Monate später sollte meine Kundin als Zeichen der Dankbarkeit und Anerkennung für die Verdienste ihres Ehemannes aus der Hand des Kalifen die höchste Auszeichnung des Protektorats in Empfang nehmen und ich ihr für diesen Anlass eine Robe aus Seide und Organza schneidern.
    Lange vor diesem Festakt erschien Señora Langenheim an einem Morgen im April in Begleitung einer mir bis dahin unbekannten Dame. Es läutete an der Tür, und Jamila ging sie öffnen. In der Zwischenzeit wartete ich im Salon. Ich stand an einer Balkontür und begutachtete im direkten Licht den Fadenverlauf eines Stoffes. Zumindest tat ich so. In Wahrheit gab es nichts Besonderes zu sehen, doch diese Pose hatte ich mir angewöhnt, um beim Eintreten der Kundin möglichst professionell zu wirken.
    » Ich bringe Ihnen eine englische Freundin, die sich für Ihre Kreationen interessiert«, sagte die Frau des Deutschen, während sie festen Schrittes den Salon betrat.
    An ihrer Seite erschien eine blonde, sehr schlanke Frau, die so gar nichts Spanisches an sich hatte. Sie war ungefähr in meinem Alter, besaß jedoch eine Nonchalance, eine Lässigkeit, die auf tausendmal mehr Lebenserfahrung schließen ließ. Als Erstes fielen mir ihre frische, spontane Art auf, die überwältigende Selbstsicherheit, die sie ausstrahlte, und die

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