Das Echo der Traeume
eröffnet. Und all die Dinge, die für die spanischen Neuankömmlinge eingerichtet worden waren, jedoch auch den Einheimischen zugutekamen: Stromleitungen, Trinkwasser, Schulen und Ausbildungsstätten, Geschäfte, öffentliche Verkehrsmittel, medizinische Ambulanzen und Krankenhäuser, die Zugverbindung von Tetuán nach Ceuta, mit der man sogar an den Strand von Río Martín gelangte. Materiell gesehen profitierte Spanien sehr wenig von Marokko, denn es gab kaum Bodenschätze, die man hätte ausbeuten können. Doch in anderer Hinsicht und gerade in jüngster Zeit zog eine der beiden Seiten im Bürgerkrieg einen großen Vorteil daraus: Tausende von marokkanischen Soldaten, die in jenen Tagen jenseits der Meerenge mit vollem Einsatz für die fremde Sache des aufständischen spanischen Militärs kämpften.
Außer diesen und anderen Kenntnissen bekam ich von Félix noch etwas: Gesellschaft, Freundschaft und Ideen für mein Geschäft. Manche waren ausgezeichnet, andere vollkommen überspannt, aber wenigstens hatten wir zwei einsame Seelen am Ende des Tages dann etwas zu lachen. Es gelang ihm nie, mich davon zu überzeugen, mein Atelier in ein Studio für surrealistische Experimente zu verwandeln: mit Kopfbedeckungen in Form von Schuhen und Schneiderpuppen mit einem Telefon auf dem Kopf. Ebenso wenig konnte ich mich mit der Vorstellung anfreunden, Meeresschnecken anstelle von Glasperlen zu verwenden oder Espartogras für Gürtel, und ich nahm durchaus auch Damen als Kundinnen an, denen jeder Glamour fehlte. In anderen Dingen hörte ich jedoch sehr wohl auf ihn.
Zum Beispiel arbeitete ich auf seine Anregung hin an meiner Ausdrucksweise. Ich verbannte die vulgären und umgangssprachlichen Ausdrücke aus meinem volkstümlichen Spanisch und gewöhnte mir einen neuen Stil an, um gebildeter zu wirken. Ich fing an, Worte und Floskeln in Französisch fallen zu lassen, die ich häufig in den Lokalen von Tanger gehört oder bei Gesprächen in meiner Nähe aufgeschnappt hatte. Es waren nur ein paar Wendungen, kaum ein halbes Dutzend, aber Félix half mir, mich in der Aussprache zu verbessern und sie im richtigen Moment einzusetzen. Alle waren für das Gespräch mit meinen Kundinnen gedacht, den gegenwärtigen und zukünftigen. Wenn ich ein Kleid abstecken wollte, würde ich mit vous permettez? um Erlaubnis fragen, würde am Ende der Prozedur voilà tout sagen und das Resultat mit très chic loben. Ich würde von maisons de haute couture sprechen, sodass man denken könnte, ich sei einmal mit deren Besitzer befreundet gewesen, und von gens du monde, die ich bei meinen vermeintlichen Abenteuern hier und dort vielleicht getroffen hatte. Jeden Stil, jedes Modell und jedes Accessoire, das ich vorschlug, würde ich mit dem Etikett à la française versehen, alle Kundinnen mit Madame ansprechen. Um die gegenwärtige patriotische Stimmung zu nutzen, würde ich bei spanischen Kundinnen, so beschlossen wir, bei passender Gelegenheit Orte und Personen erwähnen, an die ich mich von früher erinnerte, als ich in Doña Manuelas Auftrag in die besten Häuser Madrids kam. Ich würde Namen und Titel fallen lassen wie ein Taschentuch aus Spitze: graziös und ohne viel Aufhebens. Dass dieses Kostüm von jenem Modell inspiriert sei, das ich vor einigen Jahren für meine Freundin, die Marquesa de Puga, nähte, die es zum ersten Mal beim Poloturnier an der Puerta de Hierro trug. Dass die ältere Tochter des Conde del Encinar in einem Kleid aus genau dem gleichen Stoff im elterlichen Palais in der Calle Velázquez debütiert habe.
Auf Anregung von Félix ließ ich für die Tür ein vergoldetes Schild anfertigen, auf dem in englischer Schreibschrift stand: Chez Sirah – grand couturier. So nannten sich damals, wie Félix sagte, die besten französischen Modehäuser. Das h am Ende meines Namens würde meinem Atelier noch einen zusätzlichen internationalen Touch geben, meinte er. Bei La Papelera Africana gab ich gleich einen ganzen Karton mit Visitenkarten aus elfenbeinfarbenem Papier mit dem Namen und der Anschrift meines Ateliers in Auftrag. Ich machte sein Spiel mit, warum auch nicht? Schließlich fügte ich mit jener kleinen folie de grandeur niemandem einen Schaden zu. In dieser Sache hörte ich auf ihn, ebenso wie bei tausend anderen Kleinigkeiten, dank derer ich nicht nur in der Lage war, mich mit größerer Sicherheit auf die Zukunft einzulassen, sondern es mir auch gelang, eine Vergangenheit aus dem Zylinder zu zaubern. Ich musste mich gar
Weitere Kostenlose Bücher