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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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aufgeschnappt und bei den Zankereien zwischen den männlichen und weiblichen Gästen in Candelarias Pension mitbekommen hatte. Die junge Frau mit Stilgefühl, die Schneiderin eleganter Kleider nahm man mir offensichtlich ab, aber ich wusste, sobald jemand an der Oberfläche kratzte, würde er mühelos erkennen, auf welch wackligem Fundament ich stand. Deshalb machte mir Félix in jenem ersten Winter in Tetuán ein ungewöhnliches Geschenk: Er begann mich zu unterrichten.
    Es lohnte sich. Für uns beide. Für mich, weil ich eine Menge lernte und mich im Ausdruck verbesserte. Für ihn, weil er dank unserer Zusammenkünfte seine einsamen Stunden mit Zuneigung und Gesellschaft füllen konnte. Doch trotz seiner lobenswerten Absichten war mein Nachbar alles andere als ein gewöhnlicher Lehrer. Félix Aranda war ein Mensch, der geistig nach Höherem strebte und vier Fünftel seines Lebens eingezwängt zwischen zwei Polen verbrachte: zwischen seiner despotischen Mutter einerseits und der öden Langeweile einer durch und durch bürokratischen Tätigkeit andererseits, sodass man in den Stunden, in denen er von beidem befreit war, planvolle Ordnung, maßvolle Umsicht und Geduld als Letztes von ihm erwarten durfte. Wäre mir daran gelegen gewesen, hätte ich in die Calle Luneta gehen müssen, damit Don Anselmo, der pensionierte Lehrer, einen Lehrplan entsprechend dem Stand meines Unwissens ausarbeitete. Auf alle Fälle brachte mir Félix, auch wenn er kein methodisch und systematisch vorgehender Lehrer war, auf seine unorthodoxe Art vieles bei, das mir auf lange Sicht und in der einen oder anderen Weise auf meinem Lebensweg nützlich war. Dank ihm wurden mir Persönlichkeiten wie Amedeo Modigliani, F. Scott Fitzgerald und Josephine Baker ein Begriff, lernte ich zwischen Kubismus und Dadaismus zu unterscheiden, erfuhr ich, was Jazz ist, konnte ich die europäischen Hauptstädte auf einer Landkarte lokalisieren, lernte die Namen der besten Hotels und Kabaretts in Europa auswendig und sogar in Englisch, Französisch und Deutsch bis hundert zu zählen.
    Dank Félix verstand ich nun auch, was meine spanischen Landsleute in diesem fernen Land machten. Ich erfuhr, dass Spanien sein Protektorat in Marokko seit 1912 besaß, nachdem es mit Frankreich den Vertrag von Fès geschlossen hatte, demzufolge Spanien – wie es bei armen Verwandten so ist – von den reichen Franzosen der schlechteste, der ärmste und am wenigsten begehrte Teil des Landes zugesprochen wurde. Den Knochen vom großen Kotelett Afrika hatten sie bekommen. Spanien verfolgte dort mehrere Ziele: Es wollte den Traum vom großen Kolonialreich wiederbeleben, an der Verteilung des afrikanischen Kuchens unter den europäischen Nationen teilhaben, auch wenn ihm die Großmächte nur die kläglichen Reste zugestanden. Frankreich und England wenigstens ein bisschen Kolonialbesitz entgegenhalten zu können, nachdem uns Kuba und die Philippinen entglitten waren und für mein Heimatland ein armseliges Stück abgefallen war.
    Es war nicht einfach, die Herrschaft im Protektorat zu konsolidieren, obwohl die mit dem Vertrag von Fès zugesprochene Zone klein und dünn besiedelt, der Boden karg und wenig ergiebig war. Der Preis waren Ablehnung und Revolten im spanischen Mutterland sowie Tausende von toten Spaniern und Nordafrikanern bei den blutigen Kämpfen im Rif-Krieg. Doch es gelang den Spaniern, ihre Macht zu festigen, und heute, fast fünfundzwanzig Jahre nach der offiziellen Errichtung des Protektorats, nachdem man jeden inneren Widerstand niedergeschlagen hatte, waren meine Landsleute noch immer präsent, ihre Hauptstadt unangefochten und sie wuchs unaufhörlich weiter. Militärs aller Dienstgrade, Beamte von Post, Zoll und Straßenbau, Buchprüfer, Bankangestellte. Unternehmer und Hebammen, Lehrer, Apotheker, Juristen und Verkäufer. Kaufleute, Maurer. Ärzte und Klosterfrauen, Schuhputzer, Kellner. Ganze Familien, die wieder andere Familien damit anlockten, man könne hier gut verdienen und sich im Zusammenleben mit anderen Kulturen und Religionen eine Zukunft aufbauen. Und unter ihnen auch ich, eine Spanierin mehr. Als Gegenleistung für seine dem Land über ein Vierteljahrhundert hinweg aufgezwungene Präsenz hatte Spanien im Bereich der Industrie, des Gesundheitswesens und der Infrastruktur einigen Fortschritt nach Marokko gebracht und zudem erste Schritte zu einer leichten Verbesserung der Landwirtschaft eingeleitet. Und eine Akademie für Kunst und traditionelles Handwerk

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