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Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling

Titel: Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frei
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mit rauer, fremder Stimme unverständliche Worte, trommelte rhythmisch mit den Beinen und lief im Zimmer auf und ab. Der Takt seiner Schritte und Schreie wirkte seltsam beruhigend auf mich. Wie verzaubert erlebte ich seinen schwindelerregenden, schamanistisch wirkenden Auftritt. Das Spinnennetz zitterte und erlosch, und der Spiegelbewohner musterte Juffins Bewegungen mit sterbendem Blick.
    »Das Wesen stirbt«, dachte ich kühn. »Es war immer tot, und jetzt stirbt es. Merkwürdig!«
    Juffin beschleunigte seinen Rhythmus. Seine Schritte wurden lauter, und sein Schreien verwandelte sich in Geheul, das meine Gedanken übertönte. Sein Körper schien mir seltsam groß und dunkel wie ein Schatten. Die Wände des Zimmers begannen hellblau zu leuchten. Ein kleiner Tisch hob sich in die Luft und flog Richtung Spiegel, stürzte aber auf halbem Wege ab, und seine Trümmer mischten sich mit den Spiegelsplittern.
    Dann spürte ich, dass ich einschlief - oder starb. Eigentlich hatte ich nie vorgehabt, in Gegenwart einer kränklichen, behaarten Affenfratze zu sterben. Aus einer Zimmerecke kam ein Kerzenleuchter geflogen und schien auf meinen Kopf zu zielen. Da wurde ich wütend und bewegte mich, und der Kerzenleuchter blieb ein paar Zentimeter vor meinem Kopf in der Luft stehen. In diesem Moment begriff ich, dass es zu Ende war.
    Na ja, »zu Ende« ist leicht gesagt. Es gab kein Licht und kein Spinnennetzgefunkel mehr, und auch der fatale Geruch nach Schlechtem Tod war verschwunden. Der Spiegel sah wieder nach Spiegel aus, warf aber natürlich kein Bild mehr zurück. Sir Melifaro stand bewegungslos inmitten der Trümmer. Sein Gesicht war eine erschreckend leblose Maske. Das Spinnennetz hing ihm nun in glanzlosen, aber echten Fasern am Leib. Sir Juffin hockte sich neben mich und musterte neugierig mein Gesicht.
    »Wie fühlst du dich, Max?«
    »Ich weiß nicht. Wenigstens geht es mir besser als ihm«, meinte ich und wies mit dem Kopf auf Sir Melifaro. »Was war das gerade?«
    »Magie des 212. Grades, mein Freund. Was hältst du davon?«
    »Was halten Sie davon?«
    »Das alles war sehr seltsam. Rein theoretisch solltest du in seinem Zustand sein«, antwortete Juffin. Wir wandten synchron die Köpfe und betrachteten erneut den erstarrten Melifaro.
    »Sag mal, bist du eingeschlafen? Was war mit dir los?«
    »Offen gesagt wusste ich selbst nicht, ob ich sterbe oder einschlafe. Aber ich dachte, dass ich in Anwesenheit dieses Affen nicht sterben will. Komisch, was? Als mir der Kerzenhalter entgegenflog, war ich endgültig sauer, und zwar auf alles: auf den dummen Leuchter, auf die Missgeburt im Spiegel und auf Sie. Und ich nahm mir vor: Euch zeig ich's! Ich sterbe nicht! Das war eigentlich alles.«
    »Donnerwetter, Junge! Bisher galt so was als unmöglich. Du warst also plötzlich beleidigt und hast dich entschieden, nicht zu sterben? Um deinen Feinden Paroli zu bieten? Lustig. Aber trotzdem: Wie fühlst du dich jetzt?«
    Unvermittelt überkam mich strahlende Laune. Als ich in mich hineinlauschte, merkte ich, dass ich mich tatsächlich nicht normal fühlte. Zum Beispiel verstand ich durchaus, was gerade passiert war. Ich hatte Juffin nicht danach fragen müssen. Mir war klar, dass er zweimal erfolglos versucht hatte, die fremde Kraft aus dem Spiegel zu besiegen. Beim dritten Mal hatte er alles im Zimmer erstarren lassen. Ich stellte mir plastisch vor, wie er es gemacht hatte, hätte das Ganze aber nicht wiederholen wollen. Ich wusste auch, dass es unmöglich war, den Spiegelbewohner zu vernichten, ohne Sir Melifaro dabei Schaden zuzufügen. Das Spinnennetz verband die beiden nämlich wie siamesische Zwillinge.
    Doch im Moment quälten mich andere Fragen. So überlegte ich, wie Sir Juffin aussehen mochte, wenn man einen Glassplitter nahm und ihm damit die Wange ritzte. Und wie sein Blut wohl schmecken mochte.
    Ich fuhr mir mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen.
    »Max«, sagte Juffin streng. »Reiß dich zusammen. Das bringt dich aus der Fassung. Ich kann dir helfen, wenn wir das Zimmer erst verlassen haben, aber es wäre besser, wenn du es allein schaffst. Im Vergleich zu dem, was du schon geleistet hast, ist das eine Kleinigkeit.«
    Ich durchstöberte alle Ecken meiner Seele nach dem kleinen, vernünftigen Jungen, der mir in heiklen Lagen hilft. Offenbar war er gerade nicht zu Hause.
    Plötzlich erinnerte ich mich an einen billigen Vampirfilm. Die Helden waren bleich geschminkt und hatten ziemlich scheußliche Blutergüsse -

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