Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling
Jungen, ins Schlafzimmer kommen. Er war rot wie ein Apfel, was in Echo als Zeichen männlicher Kraft und Schönheit gilt. In seinem Fall war das wirklich so. Hier gibt es viele hübsche Menschen, kam mir plötzlich in den Sinn. Mehr als dort, wo ich herkomme. Die Leute hier sehen das anders, weil sie andere ästhetische Maßstäbe haben. Ob ich nach hiesiger Betrachtung wohl eher ein Schönling oder eine Vogelscheuche bin?
Ich zuckte die Achseln. Was für eine brennende Frage!
Der Rötling tat eifrig, als würde er aufräumen. Was kann man in einem seit langem leeren Zimmer, das ohnehin jeden Tag sauber gemacht wird, noch putzen und ordnen? Diszipliniert besuchte er alle Ecken und wedelte mit seinem Utensil, einem kleinen Besen. Nach ein paar Minuten gab es endgültig keine Hausarbeit mehr zu simulieren - das Zimmer befand sich im Idealzustand. Also beschloss der junge Krops, er habe eine Pause verdient. Er stand vor dem Spiegel und untersuchte aufmerksam sein Gesicht. Mit zwei Fingern zog er die Augenwinkel hoch. Dann ließ er sie los und seufzte bedauernd. Wahrscheinlich probierte er diese Miene nicht zum ersten Mal aus und fand immer größeren Gefallen daran. Dann erforschte er missmutig seine Nase. Man zeige mir einen jungen Menschen, der mit seiner Nase zufrieden ist!
Ich fürchte, diese kleinliche Unzufriedenheit war seine letzte Empfindung. Das funkelnde Spinnennetz erschien auf seinem Ärmel, und Sekunden darauf befand sich der arme Junge im Zentrum des beinahe unsichtbaren Kokons. Ich spürte die Erleichterung, die ihn erfüllte. Plötzlich wurde ihm alles klar: DU MUSST DORTHIN GEHEN! Und schon machte der rothaarige Krops ein paar Schritte auf den Spiegel zu. Sein hilfloses Lächeln ähnelte der Miene des erstarrten Sir Melifaro.
Als ich - wie Krops und wohl auch seine unglücklichen Vorgänger - den Befehl DU MUSST DORTHIN GEHEN! auf mich wirken spürte, wandte ich mich ab. Mir war klar: All das könnte sich bei mir wiederholen. Und das Ekelhafteste daran war, dass es mir sogar gefallen würde! Vor meinen Augen flackerte ein kleines, widerliches Affengesicht. Und der Abgrund seines Mauls - umrahmt von quicklebendigen Spinnenbeinen - erschien mir als ersehnter Ruheplatz.
Ich nahm einen guten Schluck Kachar-Balsam. Ja, Magie achten Grades hat schon was! Dieses Getränk schmeckt teuflisch gut, und alle Versuchungen sind wie weggeblasen. Von Kindheit an hatte man mir eingeredet: Nur was bitter schmeckt, kann helfen. Das war gelogen, wie mir jetzt klar wurde. Gute Nachricht!
Ich vergewisserte mich, dass der Spiegel keinen Einfluss mehr auf mich ausübte, und wandte mich wieder den Erinnerungen der Dose zu, die erneut ein leeres, aufgeräumtes und hübsches Schlafzimmer zeigte.
»Siehst du das, Max?«, fragte Juffin und stieß seinen Ellbogen in meine leidgeprüfte Seite. »Siehst du's?«
»Was?«
»Na, nichts! Bisher hatten wir stets abrupte Szenenwechsel. Jetzt versteh ich endlich, warum mein Zeiger immer zwischen Zwei und Drei gesprungen ist!«
Plötzlich kam mir ein Gedanke. Anscheinend wollte ein lustiges Abenteuer des Grafen Dracula meinen ärmlichen IQ ein wenig beleben.
»Wenn das Spiegelmonster gegessen hat, schläft es, oder? Und weil der Spiegel und sein Bewohner schlafen, produzieren sie keine magische Aktivität, stimmt's?«
»Stimmt. Das Monster hat uns überlistet. Die Pfeife hat meinen Verdacht auf den Spiegel fallen lassen, obwohl nicht er es ist, der Magie ausübt, sondern sein Bewohner. Üblicherweise bleibt die Magie dort, wo sie deponiert wird. Aber dieses Monster lebt. Und ein lebendiges Wesen kann von Zeit zu Zeit in die Traumwelt fliehen. Wenn ein Magier schläft, schweigen alle Zeiger ... natürlich in dieser Welt. Bestimmt toben sie sich dann in anderen Welten aus - falls es dort Zeiger gibt, und daran habe ich große Zweifel. So sieht die Sache aus. Und jetzt zurück ins Wohnzimmer, Max.«
»Sie kennen mich doch - dazu bin ich immer bereit.«
Sir Juffin stand auf, knackte mit den Gelenken und streckte sich lässig. Vorsichtig nahm ich die Cremedose vom Fußboden und schob sie in die Tasche. Noch nie hatte ich einen Talisman gehabt. Jetzt aber besaß ich einen, und das war gut so.
In diesem Augenblick erlosch die Kerze. Unwillkürlich beugte ich mich zu Boden, um den Stummel aufzuheben, fand ihn aber nicht. Nirgendwo! Ich wunderte mich nicht mehr darüber, sondern registrierte es bloß.
Wir kehrten ins Wohnzimmer zurück. Der Morgen graute. »Na, das hat gedauert«,
Weitere Kostenlose Bücher