Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Schwelle unserer Türe auf dem Boden zu schlafen, um uns zu schützen, und soviel Anhänglichkeit rührte uns. Auf das Drängen der Kinder hin legte ich mich nieder, fühlte aber, dass ich kein Auge schliessen konnte.
Meine Qual war ungeheuer.
Vittorio Mussolini *1916
Mailand
Ich sah meinen Vater zum letzten Mal allein am Nachmittag des 25. April 1945 in seinem Büro, das er seit wenigen Tagen in der Präfektur von Mailand hatte.
In diesen letzten Monaten war er bei ausgezeichneter Gesundheit. Die ständigen Kuren von Doktor Zacchariae, ein alter, sympathischer deutscher Arzt, den Hitler persönlich geschickt hatte, zeigten einen Erfolg, den andere Ärzte in besseren Zeiten nie hatten. Physisch wie intellektuell war mein Vater wieder der willensstarke Mann von 1939 geworden.
Luigi Meneghello *1922 Padua
Äußerst gereizt kehrte ich zu den anderen unter die Arkaden zurück. Wir waren zu dritt oder zu viert; liefen zwischen den Pfeilern hin und her, kreuzten einander im Zickzack und verschossen aus Repräsentationsgründen ein paar Erbsen. Als die Deutschen aus ihrer Deckung hervorzukommen beschlossen, dachte ich: «Jetzt ist’s soweit: nun sind die Handgranaten dran; es ist ja sowieso zwecklos, aber denen da drinnen geschieht es recht.» Die Deutschen aber, eine kleine Gruppe blaugrün gekleideter Herren, hatten seltsamerweise ihre Hände erhoben und ließen sie oben. Heilige Muttergottes! so hatte ich sie noch nie gesehen, ich wäre beinahe erschrocken. Von rechts sah ich eine Schar bewaffneter Zivilisten hervorbrechen; ich lief vor und konnte gerade noch rechtzeitig schreien: «He da, schnell, nehmt die mal in Empfang», bevor sie sie aus eigenem Antrieb unschädlich machten.
Klaus Mann 1906–1949
Rom
Sehr beschäftigt. ...: Artikel «The great job in Germany» («sie verstehen nicht»). – Spät nachts gearbeitet. («Shots» bekommen beim HQ-Comp.)
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E. Taube
Danzig
Über das Dolmetscherehepaar W[aldmann] aus Riga, die wir bei den Morgen- und Abendandachten im Konfirmandensaal kennengelernt hatten, lernte ich ein wenig Russisch und dadurch ein paar Offiziere der Kommandantur kennen. Das waren herzensgute Menschen, genau wie der Kommandant. Ersterer war sehr menschlich bei den Requisitionen. Unser Flügel blieb auch verschont, und für meine Geige bekam ich einen Schutzzettel.
Elsa Güttner
Danzig
Nach ca. 4 Wochen konnten wir in unsere Wohnungen zurück. Ein heilloses Durcheinander und große Vernichtung erblickten wir. Die Küchentür bekamen wir überhaupt nicht auf. Da lagen sämtliche Bücher aus ihren Einbänden herausgerissen, Papiere und Scherben durcheinander. Im Eßzimmer sah es genau so aus. Sämtliche Scheiben in den Möbelstücken zerschlagen, in die Tischplatten große Löcher gebrannt, die Lampen heruntergerissen, Gardinen und Vorhänge zerschnitten. Aus dem Badezimmer kam uns der übelste Gestank entgegen. Die Badewanne,in der das Luftschutzwasser verblieben war, hatten die Russen, man kann es nicht anders nennen, als Dunghaufen benutzt. Hier waren alle Speisereste, altes Brot und noch Schlimmeres hineingeworfen. Auch hier lagen Kleider und Wäsche darin.
Wir waren aber trotz allem froh, wieder daheim zu sein, und fingen gleich an, Ordnung zu schaffen, soweit es unsere Kräfte zuließen. Ich hatte Glück und fand in meinem Keller ein paar Kartoffeln und Kohlen, diese teilte ich mit meinen Nachbarinnen.
Elsa Kreisel *1888
Danzig
Die Reaktion des Hungerns und all der ausgestandenen Ängste trat ein, ich schwoll an beiden Füßen und Beinen bis hoch über die Knie auf: es war Wasser in den Gliedern, Nervenentzündung kam dazu, ich war unfähig, einen Schritt ohne heftige Schmerzen zu tun. Schließlich holten meine Kameradinnen von drüben Hilfe. Die polnische Ärztin behandelte mich freundlich und erfolgreich.
Unserer Gastgeberin, sie war über 70 Jahre alt, legte sich erschöpft sofort nach ihrer Wiederkehr ins Bett. Sie hatte an offenen Beinwunden gelitten und war mit ihrer Tochter in der Olivaer Kirche in Sicherheit geblieben. Dachte sie – Sicherheit im Schutze Gottes. Da drinnen aber vergewaltigte sie ein junger Russe, das gab ihr den Rest, jetzt blieb sie im Bett, ergeben in diese schlechte Welt.
Else Gloeden 1913–1995
Groß Jenznick/Pommern
Unser Pole hat mir keine Arbeit aufgetragen, ich soll mir ein Stück im Garten mit Gemüse einsäen. Alice hat etwas gekocht, und wir wollen essen. Da kommen zwei Reiter auf den Hof, ich springe aus dem Fenster und verstecke mich, mal
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