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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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1874–1965
London
    persönliche und geheime bo tscha ft von
    herrn churchill an marschall stalin
    Ich danke Ihnen für Ihre beiden Botschaften vom 23. April, die ich pünktlich erhalten habe. Ebenfalls vielen Dank für die Grüße, die Sie im Namen Ihrer tapferen Armeen an die der westlichen Demokratien senden, die Ihnen jetzt die Hand reichen. Ich kann Ihnen versichern, daß wir diese Grüße erwidern.
    Lagebesprechung
Berlin/Führerbunker
    Hitler: Die Engländer und Amerikaner verhalten sich an der Elbe ruhig. Wahrscheinlich haben sie eine Art Demarkationslinie abgemacht. In Berlin sieht es schlimmer aus, als es ist. Der Berliner Raum muß ausgeschöpft werden von Menschen, soweit es irgend möglich ist. Die 12. (Wenck) und die 9. Armee (Busse), die im Westen und Osten feste Fronten bilden, müssen an Berlin herangezogen werden. Die in Berlin stehenden Divisionen müssen auf jede nur mögliche Weise aus der Bevölkerung aufgefüllt werden. Erfassungskolonnen müssen gebildet werden, um alles heranzuholen.
    *
    Der General
    Walther von Seydlitz-Kurzbach 1888–1976
Lunowo
    An Erich Weinert
    Hochverehrter Herr Präsident, lieber Herr Weinert!
    [...] Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, daß es hier im Hause noch zahlreiche Herren gibt, die Moskau noch nie gesehen haben. Wir haben daher den großen Wunsch, und vielleicht ist es Ihnen möglich, diesen Wunsch an entsprechender Stelle zu vertreten, daß die Gefangenenlagerverwaltung am Tage vor dem 1. Mai, also Montag, den 30. April, zwei Omnibusse zur Verfügung stellt für eine Fahrt durch Moskau, damit wir die Stadt in ihrem Schmuck für den 1. Mai besichtigen können. Sie würden unendlich vielen Herren des Hauses einen ihrer sehnlichsten Wünsche erfüllen.
    Der Leutnant
    Alfred Schlenker 1922–1985
nördlich des Po
    Drei Kaninchen haben wir geklaut, die wir in einem Kochgeschirr nach und nach – von einem zum andern Mal einen größeren Hunger bekommend – kochen. Mit Powasser und Löwenzahnblättern! Besser schmecken könnte es uns im besten Hotel nicht!
    Über dieser Beschäftigung vergessen wir sogar den notwendigen Schlaf. Unsere Lagerstätte haben wir, um nicht überrascht zu werden, in das dichte Flußdickicht verlegt, wo uns allerdings Schnaken und Stechmücken keine Ruhe lassen.
    Der US-Lieutenant Albert L. Kotzebue †1987
an der Elbe
    Am nächsten Morgen fuhr ich mit fünf Jeeps ostwärts; zwei Jeeps ließ ich zum Aufrechterhalten des Funkkontakts mit dem Regiment zurück.
    Als ich Kühren an diesem kalten Aprilmorgen verließ, hatte ich keinen Befehl, mich weiter nach Osten zu bewegen. Ich legte meine Anweisung, «mit den Russen Kontakt aufzunehmen», sehr weitherzig aus. Da es zwischen Mulde und Elbe wirklich keinen Widerstand mehr zu geben schien und die Gerüchte davon sprachen, daß die Russen ganz in der Nähe seien, hielt ich es für naheliegend, die Patrouille weiterzuführen und zu versuchen, einen Kontakt herzustellen. Außerdem hegte ich ein besonderes persönliches Interesse am russischen Volk. Einer meiner Vorfahren, der Dramatiker August von Kotzebue, war ein Günstling am Hof der russischen Zarin Katharina der Großen gewesen [...].Wir passierten Lampertswalde, bewegten uns auf verschiedenen Landstraßen voran und erreichten den kleinen Ort Leckwitz.
    Auf der Hauptstraße sah ich einige hundert Yards entfernt einen einzelnen Reiter. Er verschwand in einem Hof.
    Er nahm sich seltsam fehl am Platz aus. Was hatte es mit ihm auf sich? Wir rissen die Jeeps herum und stoppten vor dem Eingang zu diesem Hof. Dort, inmitten einer zerlumpten Schar verschleppter Menschen, saß ein russischer Soldat auf einem Pferd. Es war jetzt 11.30 Uhr. Das war der erste Kontakt zwischen Angehörigen der Armeen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion.
    Der Soldat war ein Kavallerist. Er blieb ruhig und zurückhaltend und schien gar nicht begeistert.
    *
    Rachele Mussolini 1892–1979
bei Como/Villa Mantero
    Den Tag des 25. April verbrachten wir allein. Ich war gezwungen einen Kochherd zu kaufen, weil absolut alles fehlte. Man sagte, dass es in Como kein Benzin für unsere eventuelle Weiterfahrt gebe, deshalb telefonierte ich nach Mailand in die Präfektur, um mit meinem Mann zu sprechen [...].
    Abends verbreitete sich die Nachricht, dass Mussolini in Como angekommen sei. Er liess mir sofort etwa zwanzig treue Soldaten zu unserem Schutz schicken.
    Als wir uns in der zweiten Nacht zum Schlafen niederlegen wollten, bestanden einige der Soldaten darauf, vor der

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