Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
diese Brücke zu seinem früheren Ich zu schlagen.
Prousts Werk eröffnete dem Leser eine Sinfonie der Wahrnehmung, voller prismenartiger Farben, feinster Nuancen, kraftvoller Bilder, die sein Ich-Erzähler in dem entdeckt, was ihn umgibt – seine Welt, seine Liebe, sein Leben. Dieser Akt des emotionalen Erinnerns ist eine der stärksten Kräfte, die Welt in unserem Innern neu zu ordnen. Wie wir indes aus Erfahrung wissen, ist der Weg dahin aber alles andere als einfach. Proust spricht uns Mut zu, es trotzdem zu versuchen, denn wenn wir uns wirklich mühen, werden wir belohnt – mit Erinnerungen, die sich wunderbar anfühlen und die sich wie kunstvolle japanische Papierkügelchen in einer mit Wasser gefüllten Porzellanschale erst entfalten und dann als wunderschöne Figuren an die Oberfläche steigen.
Marcel Proust hat viele Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaften auf dem Gebiet der Beschreibung der emotionalen Erinnerung literarisch vorweggenommen. Deshalb möchte ich ihm auch das Schlusswort überlassen, in dem sich sein erwachsener Ich-Erzähler als glückliches Kind wiederfindet:
Sobald ich den Geschmack jener Madeleine wiedererkannt hatte, die meine Tante mir, in Lindenblütentee eingetaucht, zu verabfolgen pflegte (obgleich ich noch immer nicht wusste und auch erst späterhin würde ergründen können, weshalb mich die Erinnerung so glücklich machte), trat das graue Haus mit seiner Straßenfront, an der ihr Zimmer sich befand, wie ein Stück Theaterdekoration zu dem kleinen Pavillon an der Gartenseite hinzu, der für meine Eltern nach hinten heraus angebaut worden war (also zu jenem verstümmelten Teilbild, das ich bislang allein vor mir gesehen hatte), und mit dem Hause, die Stadt, der Platz, auf den man mich vor dem Mittagessen schickte, die Straßen, die ich von morgens bis abends und bei jeder Witterung durchmaß, die Wege, die wir gingen, wenn schönes Wetter war. Und wie in den Spielen, bei denen die Japaner in eine mit Wasser gefüllte Porzellanschale kleine, zunächst ganz unscheinbare Papierstückchen werfen, die, sobald sie sich vollgesogen haben, auseinandergehen, sich winden, Farbe annehmen und deutliche Einzelheiten aufweisen, zu Blumen, Häusern, zusammenhängenden und erkennbaren Figuren werden, ebenso stiegen jetzt alle Blumen unseres Gartens und die aus dem Park von Monsieur Swann, die Seerosen auf der Vivonne, die Leutchen aus dem Dorfe und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray und seine Umgebung, alles deutlich und greifbar, die Stadt und die Gärten auf aus meiner Tasse Tee.
Anhang
Stichworterklärungen
Adrenalin
Stresshormon aus der Nebenniere. In Stresssituationen reagiert der Organismus mit der Freisetzung von Adrenalin ins Blut. Eine Hauptaufgabe dieses Hormons ist es, die Energieflüsse aus dem Körper zum Gehirn umzuleiten.
Allostase
Das in biologischen Systemen häufig vorkommende Prinzip der »Stabilisierung durch Veränderung«. Bei der allostatischen Regulation (z. B. der Körpertemperatur-Regulation) wird ein flexibler Sollwert (= Setpoint) angestrebt; dieser ist normalerweise 37 Grad, bei schweren Infektionen beispielsweise 40 Grad. Die allostatische Regulation optimiert die Überlebenswahrscheinlichkeit des gesamten Organismus. Unter den Stressbedingungen der Infektion ist es vorteilhaft, die Körpertemperatur zu erhöhen (z. B. bessere Abwehr von Bakterien). Bei der allostatischen Regulation werden zum Erreichen dieser Vorteile unter Umständen auch Nachteile für den Körper in Kauf genommen. Beispiele für allostatische Regulation sind die Regulation der Blutglukose, des Blutdrucks und des Körpergewichts.
Allostatische Last
Bei chonischem Stress reagiert der menschliche Organismus mit einer lang andauernden Stressantwort. Das sympathische Nervensystem wird aktiviert und die Stresshormone Adrenalin und Kortisol werden ausgeschüttet. Die Stressreaktion soll den Organismus in Stresssituationen eigentlich schützen und Stressoren abwehren. Bei einer Daueraktivierung dieser Mechanismen kommt es zu allostatischen Anpassungen (z. B. der dauerhaften Erhöhung der Blutglukose oder des Blutdrucks). Eine derartige Dauerbelastung des Organismus nennt man allostatische Last . Durch solch eine Last entstehen langfristig Kosten mit krankmachender Wirkung für den gesamten Organismus (z. B. Muskel- und Knochenabbau).
Amygdala
Hirnregion in den Schläfenlappen des Großhirns. Hier wird nicht nur das emotionale Gedächtnis kodiert, hier wird auch das
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