Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
Überforderung. Es mag sein, dass ein Jugendlicher aus Neugier Drogen ausprobiert, aber hinter einer Drogensucht steckt selten etwas Zufälliges, sondern oftmals ein ernstes Problem: die Unfähigkeit, Konflikte zu lösen; Stressgefühle, die als so überwältigend empfunden werden, dass illegale Drogen oder Alkohol als wirksame Mittel erscheinen, das Stresssystem zu beruhigen.
Was tun wir als Eltern oder Lehrer also, um Kinder vor Suchtverhalten zu bewahren? Nehmen wir ihre Sorgen und Nöte ernst oder opfern wir womöglich ihr inneres Gleichgewicht auf dem Altar des Leistungsprinzips? Vermitteln wir ihnen die Fähigkeiten, Konflikte zu lösen, oder sind wir vielleicht selbst konfliktscheu und somit kein hilfreiches Vorbild? Fördern wir ihre Fähigkeit, in sich hineinzuhören und ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen? Oder lassen wir zu, dass ausgefeilte Verkaufsstrategien Zugang zu ihren Spiegelneuronen im Frontalen Kortex erhalten und so künstlich Emotionen hervorrufen, die einen Bedarf nur vortäuschen? Zeigen wir unseren Kindern, dass negative Gefühle ein Motor sind, um etwas in uns und um uns herum zu verändern, oder machen wir ihnen vor, wie man diese Gefühle durch Genussmittel, Medikamente oder andere Hilfsmittel betäuben kann und damit jeden Antrieb zur Wandlung zum Erliegen bringt? Sind wir bereit, nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen eines Kindes zu erkennen und zu respektieren? Reagieren wir auf Niederlagen eines Kindes mit Ungeduld oder indem wir ihm Mut machen? Gestalten wir unser Familienleben oder den Schulalltag so, dass kein Zustand von psychosozialem Dauerstress entsteht?
Wie viele Ruhepausen und Schlaf braucht ein Kind?
Wie verbringen wir unsere Abende als Familie? Wie gehen wir selbst mit unserem Schlafbedürfnis um? Wie klingt der Tag meines Kindes aus – mit Fernsehzeit oder mit Vorlesen vor dem Schlafengehen? Wie sieht der Terminkalender meines Kindes aus? Wie viel seiner Freizeit darf es selbst bestimmen? Gibt es Ruhepausen im Tagesablauf meines Kindes? Wie oft greife ich in das ein, was mein Kind tut? Wie viel Selbstverantwortung traue ich meinem Kind zu?
Das sind viele Fragen, und es wäre leicht, weitere hinzuzufügen. Es geht dabei um mehrere Punkte, die eng zusammenhängen: das Ruhebedürfnis von Kindern, die Selbstbestimmung. Es geht um Zutrauen und Verantwortung – und darum, was wir unseren Kindern vorleben. Denn Kinder folgen Vorbildern und Mustern. Als Eltern erleben wir oft, dass unsere Kinder nicht das machen, was wir ihnen sagen und was wir von ihnen verlangen. Aber wir können sicher sein, dass wir sie mit dem beeinflussen, was wir tun und was wir in ihnen sehen. Dafür haben Kinder sehr empfindliche Antennen. Neigen wir möglicherweise dazu, das Leben unserer Kinder immer stärker zu kontrollieren, zu reglementieren und zu verplanen – anstatt ihnen Selbstverantwortung zuwachsen zu lassen?
All diese Punkte führen zu weiteren Fragen – Fragen, die in der Erziehungs- und Bildungspolitik seit Jahren diskutiert werden: Wie bereiten wir unsere Kinder auf ihr Leben als Erwachsene vor? Wie viel verlangen wir ihnen ab und was trauen wir ihnen wirklich zu? Noch gibt es viele Kinder mit »normaler« Kindheit. Kinder, die mit den üblichen Irrungen und Wirrungen ihren Weg durch Pubertät und Erwachsenwerden erfolgreich gehen. Aber es mehren sich die Zeichen, dass immer öfter etwas schiefläuft. Da gibt es die einen, um die sich niemand richtig kümmert. Die Kinder, die vor dem Fernseher und der Spielkonsole vereinsamen. Und da gibt es die anderen, die übereffizient gefördert werden: Sportvereine, Nachhilfe, Schachclub, Ballett, Musikstunde und kaum Zeit zur freien Verfügung. Wie viel normale Kindheit bleibt da eigentlich noch übrig? Für beide Extreme gilt: Wir verlieren die Grundbedürfnisse unserer Kinder aus den Augen – etwa das Bedürfnis nach Ruhe.
In einer Ruhephase – etwa nach der Schule – kann das Gehirn vom Belastungs- in einen Ruhemodus wechseln. Kinder, bei denen Anstrengungs- und Ruhephase eine ausgeglichene Bilanz ausweisen, wirken auch nach außen hin überwiegend in sich ruhend, sogar während der Pubertät.
Dass auch der Brain-Pull dieser Kinder kompetent arbeitet, lässt sich mit klinischem Blick und den Erfahrungen jahrelanger Stressforschung (an Gesunden und Menschen mit den verschiedensten physischen und psychischen Erkrankungen) mit hoher Wahrscheinlichkeit erkennen: Der Brain-Pull dieser Kinder ist
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