Das egoistische Gen
aber an, wir wissen, daß eine Königin das Gen B besitzt. Die Möglichkeit, daß ihr Sohn das Gen mit ihr gemeinsam hat, ist nur 50 Prozent, da er nur die Hälfte ihrer Gene besitzt. Das klingt wie ein Widerspruch, ist es aber nicht. Eine Drohne bekommt alle ihre Gene von ihrer Mutter, aber eine Mutter gibt nur die Hälfte ihrer Gene an ihren Sohn weiter. Die Lösung für dieses scheinbare Paradoxon liegt in der Tatsache, daß eine Drohne lediglich die Hälfte der üblichen Genzahl besitzt. Es hat keinen Sinn herumzurätseln, ob der „richtige“ Verwandtschaftsindex 1/2 oder eins ist. Dieser Index ist nur ein vom Menschen gemachtes Maß, und wenn er in besonderen Fällen zu Schwierigkeiten führt, so werden wir ihn wohl aufgeben und zu den Quellen zurückgehen müssen. Vom Standpunkt eines Gens A im Körper einer Königin aus gesehen, ist die Wahrscheinlichkeit, daß es auch in einem Sohn enthalten ist, 1/2, geradeso wie bei einer Tochter. Eine Insektenkönigin ist daher – von ihrem Standpunkt aus betrachtet – genauso nah mit ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts verwandt wie bei uns Menschen eine Mutter mit ihren Kindern.
Wirklich spannend wird es, wenn wir zum Verwandtschaftsgrad zwischen Schwestern kommen. Bei Hautflüglern haben leibliche Schwestern nicht nur denselben Vater: Die beiden Spermien, die sie gezeugt haben, waren darüber hinaus in jedem Gen identisch. Die Schwestern entsprechen daher, soweit es ihre väterlichen Gene betrifft, eineiigen Zwillingen.
Wenn ein Weibchen ein Gen A besitzt, so muß es dieses entweder von seinem Vater oder von seiner Mutter bekommen haben. Wenn das Gen von seiner Mutter stammt, so besteht eine Chance von 50 Prozent, daß seine Schwester es ebenfalls besitzt. Hat es das Gen aber von seinem Vater bekommen, so ist die Chance, daß die Schwester es teilt, 100 Prozent. Daher ist der Verwandtschaftsgrad zwischen leiblichen Schwestern bei den Hautflüglern nicht 1/2, wie bei normalen Tieren mit geschlechtlicher Fortpflanzung, sondern 3/4.
Daraus folgt, daß bei den Hymenopteren ein Weibchen mit seinen leiblichen Schwestern näher verwandt ist als mit seinen Nachkommen beiderlei Geschlechts. 2 Wie Hamilton erkannte (obwohl er es nicht ganz genauso formulierte), könnte dieser Umstand sehr wohl ein Weibchen dazu prädisponieren, seine eigene Mutter als effiziente Schwestern produzierende Maschine zu „betreiben“. Ein Gen für die stellvertretende Herstellung von Schwestern repliziert sich schneller als ein Gen für die direkte Erzeugung von Nachkommen. Hieraus entwickelte sich die Unfruchtbarkeit der Arbeiterinnen. Es ist vermutlich kein Zufall, daß echte Tierstaaten mit Sterilität der Arbeiterinnen sich bei den Hymenopteren nicht weniger als elf Mal unabhängig voneinander entwickelt haben und im gesamten übrigen Tierreich nur ein einziges Mal, nämlich bei den Termiten.
Das Ganze hat jedoch einen Haken. Wenn die Arbeiterinnen ihre Mutter erfolgreich als Schwestern produzierende Maschine betreiben wollen, müssen sie auf irgendeine Weise deren natürliche Neigung, ihnen auch eine gleiche Zahl von kleinen Brüdern zu schenken, eindämmen. Vom Standpunkt einer Arbeiterin aus gesehen, beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß irgendeiner ihrer Brüder ein spezielles Gen mit ihr teilt, nur 1/4. Wenn man daher der Königin erlauben würde, zu gleichen Teilen männliche und weibliche fortpflanzungsfähige Nachkommen zu erzeugen, so würde die „Farm“, soweit es die Arbeiterinnen betrifft, keinen Gewinn erbringen. Sie würden die Vermehrung ihrer kostbaren Gene nicht maximieren.
Trivers und Hare erkannten, daß die Arbeiterinnen versuchen müssen, das Geschlechterverhältnis zugunsten der Weibchen zu beeinflussen. Sie nahmen die Fisherschen Berechnungen über die optimale Geschlechterverteilung (auf die wir im vorigen Kapitel einen Blick geworfen haben) und überarbeiteten sie für den speziellen Fall der Hymenopteren.
Es stellte sich heraus, daß das optimale Investitionsverhältnis für eine Mutter wie üblich 1:1 beträgt. Das optimale Verhältnis für eine Schwester beträgt 3:1 zugunsten der Schwestern beziehungsweise zum Nachteil der Brüder. Wenn ich ein Hautflüglerweibchen bin, so kann ich meine Gene am wirksamsten verbreiten, wenn ich darauf verzichte, mich selbst fortzupflanzen, und statt dessen meine Mutter veranlasse, mich mit fortpflanzungsfähigen Schwestern und Brüdern im Verhältnis 3:1 zu versorgen. Wenn ich aber eigene Nachkommen haben muß,
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