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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Uneigennützigkeit und Zusammenarbeit der Arbeiter sind nicht mehr erstaunlich, sobald wir bedenken, daß es sich um unfruchtbare Individuen handelt. Normalerweise ist der Körper eines Tieres so manipuliert, daß er das Überleben seiner Gene sichert, und zwar zum einen, indem er Nachkommen erzeugt, und zum anderen durch die Fürsorge für andere, dieselben Gene besitzende Individuen. Selbstmord um der Sorge für andere Individuen willen ist mit der zukünftigen Produktion eigener Nachkommen unvereinbar. Daher ist tödliche Selbstaufopferung selten. Aber eine Bienenarbeiterin hat niemals eigene Nachkommen. Alle ihre Bemühungen richten sich darauf, den Fortbestand ihrer Gene dadurch zu sichern, daß sie andere Verwandte als ihre Nachkommen pflegt. Der Tod einer einzelnen sterilen Arbeiterin ist für deren Gene nicht schlimmer als das Abfallen eines Blattes im Herbst für die Gene eines Baumes.
    Man gerät in Versuchung, mystisch zu werden, wenn man über staatenbildende Insekten spricht, doch dazu besteht keinerlei Notwendigkeit. Es lohnt, sich etwas eingehender damit zu befassen, wie die Theorie des egoistischen Gens sich mit ihnen auseinandersetzt, insbesondere wie sie den evolutionären Ursprung jenes außergewöhnlichen Phänomens der Unfruchtbarkeit der Arbeiterinnen erklärt, das so weitreichende Folgen zu haben scheint.
    Ein Insektenstaat ist eine riesige Familie, deren Angehörige gewöhnlich alle von derselben Mutter abstammen. Die Arbeiter, die sich selten oder nie fortpflanzen, sind häufig in eine Reihe verschiedener Kasten unterteilt, zu denen kleine Arbeiter, große Arbeiter, Soldaten und hochspezialisierte Kasten wie die „Honigtöpfe“ gehören. Die fortpflanzungsfähigen Weibchen heißen Königinnen, die fruchtbaren Männchen werden teilweise als Drohnen oder Könige bezeichnet. In höher entwickelten Insektenstaaten betätigen sich die Geschlechtstiere niemals mit etwas anderem als der Produktion von Nachwuchs, aber bei dieser einen Aufgabe leisten sie Außergewöhnliches.
    Was ihre Ernährung und ihren Schutz betrifft, verlassen sie sich auf die Arbeiter, und diese sind auch für die Brutpflege verantwortlich. Bei manchen Ameisen- und Termitenarten ist die Königin zu einer gigantischen Eierfabrik angeschwollen, überhaupt kaum noch als Insekt erkennbar, Hunderte von Malen größer als ein Arbeiter und völlig unfähig, sich zu bewegen. Sie wird fortwährend von Arbeitern umsorgt, die sie pflegen, füttern und ihren unaufhörlichen Eiersegen in die gemeinschaftlichen Kinderstuben transportieren. Wenn eine solche monströse Königin ihre Königinnenzelle jemals verlassen muß, so reitet sie mit großem Aufwand auf dem Rücken ganzer Schwadronen von sich mühsam fortschleppenden Arbeitern.
    In Kapitel 7 habe ich die Unterscheidung zwischen Zeugen und Pflegen eingeführt. Ich sagte, daß sich normalerweise gemischte Strategien entwickeln würden, bei denen Kinderbekommen und Kinderpflegen kombiniert sind. In Kapitel 5 haben wir gesehen, daß es generell zwei Typen von gemischten evolutionär stabilen Strategien geben kann. Entweder verhält sich jedes Mitglied einer Population gemischt; auf diese Weise erreichen Individuen gewöhnlich eine vernünftige Mischung aus Produktion und Pflege ihrer Nachkommenschaft. Oder   die Population ist in zwei verschiedene Typen von Individuen aufgeteilt; so haben wir uns zunächst das Gleichgewicht zwischen Falken und Tauben vorgestellt. Nun ist es theoretisch durchaus möglich, daß ein evolutionär stabiles Gleichgewicht zwischen Zeugen und Pflegen auf die letztgenannte Art und Weise erreicht wird: Die Population könnte in kinderzeugende und pflegende Individuen aufgeteilt sein. Ein solcher Zustand kann jedoch nur dann evolutionär stabil sein, wenn die Pfleger eng mit den Gepflegten verwandt sind, und zwar mindestens ebenso eng, wie sie mit ihren eigenen Nachkommen verwandt wären, wenn sie welche hätten. Obwohl die Evolution theoretisch diese Richtung nehmen kann, scheint sie es nur bei den staatenbildenden Insekten tatsächlich getan zu haben. 1
    Bei diesen Insekten sind die Individuen in zwei Hauptklassen aufgeteilt: in Zeugende und Pflegende. Die Zeugenden sind die fortpflanzungsfähigen Männchen und Weibchen. Die Pflegenden sind die Arbeiter – unfruchtbare Männchen und Weibchen bei den Termiten, unfruchtbare Weibchen bei allen anderen staatenbildenden Insekten. Beide Klassen erfüllen ihre Aufgabe effizienter, weil sie nicht auch noch die andere

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