Das egoistische Gen
Aufgabe übernehmen müssen. Aber von wessen Standpunkt aus betrachtet effizient? Die Frage, die man der Darwinschen Theorie entgegenschleudern wird, ist der vertraute Aufschrei:
„Was haben die Arbeiter davon?“
Einige haben geantwortet: „Nichts!“ Ihrer Meinung nach richtet sich die Königin alles zu ihrem eigenen Vorteil ein, indem sie die Arbeiterinnen durch chemische Mittel manipuliert und sie ihre wimmelnde Brut pflegen läßt. Dies ist eine Version der Alexanderschen Theorie der „elterlichen Manipulation“, die wir in Kapitel 8 kennengelernt haben. Die entgegengesetzte Vorstellung lautet, daß die Arbeiterinnen die Geschlechtstiere „kultivieren“ oder „bewirtschaften“, daß sie sie manipulieren, um ihre Produktivität bei der Erzeugung von Kopien der Arbeitergene zu erhöhen. Zwar sind die von der Königin produzierten Überlebensmaschinen keine Nachkommen der Arbeiterinnen, aber sie sind dennoch enge Verwandte.
Es war Hamilton, der zu der brillanten Erkenntnis kam, daß – zumindest bei den Ameisen, Bienen und Wespen – die Arbeiterinnen tatsächlich näher mit der Brut verwandt sein können als die Königin selbst!
Dies verhalf ihm und später Trivers und Hare zu einem der spektakulärsten Triumphe der Theorie des egoistischen Gens.
Die Beweisführung ist die folgende.
Die sogenannten Hautflügler oder Hymenopteren – zu dieser Insektengruppe gehören Ameisen, Bienen und Wespen – haben ein seltsames System der Geschlechtsbestimmung. Die Termiten gehören zu einer anderen Gruppe und besitzen diese Eigenart nicht. In einem typischen Hymenopterennest gibt es nur eine einzige reife Königin. Sie hat in ihrer Jugend einen Begattungsflug unternommen und die Spermien für den Rest ihres langen Lebens gespeichert – für zehn Jahre oder sogar noch mehr. Im Laufe der Jahre verteilt sie die Samenflüssigkeit auf ihre Eier, die auf dem Weg durch die Eileiter besamt werden. Aber nicht alle Eier werden befruchtet. Die unbefruchteten entwickeln sich zu Männchen. Ein Männchen hat daher keinen Vater, und alle seine Zellen enthalten nur einen einzigen Satz von Chromosomen (die es alle von seiner Mutter bekommen hat) statt eines doppelten Satzes (einen vom Vater und einen von der Mutter), wie wir ihn haben. In unserem Bild aus Kapitel 3 ausgedrückt, heißt das: Ein männlicher Hautflügler besitzt in jeder seiner Zellen lediglich eine Kopie jedes „Bandes“ statt der üblichen zwei.
Ein Hymenopterenweibchen dagegen ist insofern normal, als es einen Vater hat, und es besitzt in jeder seiner Körperzellen den doppelten Chromosomensatz. Ob sich ein Weibchen zu einer Arbeiterin oder zu einer Königin entwickelt, hängt nicht von seinen Genen ab. Jedes Weibchen hat einen vollständigen Satz von Genen für die Entwicklung zur Königin und einen kompletten Satz für die Entwicklung zur Arbeiterin (oder vielmehr Gensätze für die Erzeugung jeder spezialisierten Kaste von Arbeiterinnen, Soldaten und so weiter). Welcher Satz von Genen „eingeschaltet“ wird, hängt davon ab, wie das Weibchen aufgezogen wird, insbesondere von der Nahrung, die es erhält.
In Wirklichkeit ist dies alles noch sehr viel komplizierter, aber im wesentlichen stimmt es so. Wir wissen nicht, warum sich dieses ungewöhnliche System der sexuellen Fortpflanzung entwickelt hat. Zweifellos gab es gute Gründe dafür, aber vorerst müssen wir es einfach als eine sonderbare Erscheinung bei den Hautflüglern hinnehmen. Aus welchem Grund auch immer sich diese Besonderheit ursprünglich entwickelt haben mag, sie macht jedenfalls die sauberen Regeln zunichte, die wir in Kapitel 6 für die Berechnung des Verwandtschaftsgrades aufgestellt haben. Sie bedeutet nämlich, daß sich die einzelnen Spermien eines Hymenopterenmännchens, etwa einer Drohne, nicht wie bei uns voneinander unterscheiden, sondern daß sie alle genau gleich sind. Eine Drohne besitzt in jeder ihrer Körperzellen lediglich einen einzelnen Satz von Genen, keinen doppelten. In jedes Spermium muß daher der gesamte Satz eingehen, nicht nur eine Auswahl von 50 Prozent, und daher sind alle Spermien einer Drohne identisch. Versuchen wir nun, den Verwandtschaftsgrad zwischen einer Mutter und ihrem Sohn zu berechnen. Wenn wir wissen, daß eine Drohne ein Gen A besitzt, wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, daß ihre Mutter das Gen mit ihr teilt? Die Antwort muß lauten 100 Prozent, da die Drohne keinen Vater hatte und alle ihre Gene von der Mutter bekam. Nehmen wir jetzt
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