Das egoistische Gen
damit in Wirklichkeit: „Gene, die sich so verhalten, daß sie ihre Zahl in zukünftigen Genpools vergrößern, werden schließlich diejenigen sein, deren Wirkungen wir auf der Welt feststellen.“ So wie es sich als brauchbar erwiesen hat, daß wir uns die Gene als aktive Handlungsträger vorstellten, die zielbewußt auf ihr eigenes Überleben hinarbeiten, könnte es vielleicht nützlich sein, sich die Meme ebenfalls so vorzustellen. In keinem der beiden Fälle brauchen wir dabei geheimnisvoll zu werden.
In beiden Fällen dient die Vorstellung der Absicht lediglich der Veranschaulichung, aber wir haben bereits gesehen, wie nützlich dieses Bild im Fall der Gene gewesen ist. Wir haben Bezeichnungen wie „eigennützig“ und „rücksichtslos“ auf die Gene angewandt und waren uns dabei völlig im klaren darüber, daß es sich lediglich um eine Sprachfigur handelt. Können wir, in genau dem gleichen Sinne, nach eigennützigen oder rücksichtslosen Memen Ausschau halten?
Hier stellt sich nun ein Problem, das die Natur der Konkurrenz betrifft. Wo es geschlechtliche Fortpflanzung gibt, konkurriert jedes Gen vor allem mit seinen eigenen Allelen – Rivalen für dieselbe Stelle auf dem Chromosom. Bei den Memen scheint es nichts den Chromosomen Entsprechendes zu geben und nichts, was den Allelen entspricht. Ich nehme an, in einem banalen Sinne kann man bei vielen Gedanken von ihren „Gegensätzen“ sprechen. Doch im großen und ganzen gleichen die Meme eher den frühen sich replizierenden Molekülen, die frei und ungeordnet in der Ursuppe trieben, als den modernen Genen in ihren ordentlichen, paarweise vorhandenen Chromosomenregimentern. In welchem Sinne also konkurrieren die Meme miteinander? Sollen wir annehmen, daß sie „eigennützig“ oder daß sie „rücksichtslos“ sind, wenn sie keine Allele haben? Tatsächlich können wir dies erwarten, denn in gewissem Sinne müssen Meme sich auf eine Art Konkurrenz miteinander einlassen.
Jeder, der einmal einen Großrechner benutzt hat, weiß, wie kostbar Rechenzeit und Speicherkapazität sind. In vielen großen Rechenzentren muß man dafür tatsächlich Geld bezahlen, oder man bekommt eine Laufzeit zugeteilt, die in Sekunden gemessen wird, und einen Anteil an der Speicherkapazität, der in „Worten“ gemessen wird. Die Computer, in denen die Meme leben, sind die Gehirne der Menschen. 6 Bei diesen ist die Zeit möglicherweise ein wichtigerer begrenzender Faktor als der Speicherplatz, und sie ist Gegenstand heftiger Konkurrenz. Das menschliche Gehirn und der Körper, den es steuert, können nicht mehr als eins oder einige wenige Dinge gleichzeitig tun. Wenn ein Mem die Aufmerksamkeit eines menschlichen Gehirns in Anspruch nehmen will, so muß es dies auf Kosten „rivalisierender“ Meme tun. Andere Güter, um die Meme konkurrieren, sind Sendezeiten in Rundfunk und Fernsehen, Raum auf Anschlagtafeln und in Zeitungsspalten sowie Platz in Bücherregalen.
Was die Gene betrifft, so haben wir in Kapitel 3 gesehen, daß im Genpool koadaptierte Genkomplexe entstehen können.
Eine für die Mimikry bei Schmetterlingen verantwortliche große Gruppe von Genen ist auf demselben Chromosom fest miteinander gekoppelt, derart fest, daß man sie wie ein einziges Gen behandeln kann. In Kapitel 5 haben wir den komplizierten Gedanken des evolutionär stabilen Gensatzes kennengelernt. Jeweils zusammenpassende Zähne, Klauen, Eingeweide und Sinnesorgane bildeten sich in Fleischfresser-Genpools heraus, während gleichzeitig ein anderer stabiler Satz von Merkmalen aus Pflanzenfresser-Genpools hervorging. Geschieht in Mempools irgend etwas Vergleichbares? Ist das Gott-Mem zum Beispiel mit anderen speziellen Memen verknüpft worden, und fördert diese Verbindung das Überleben jedes der beteiligten Meine? Vielleicht können wir eine organisierte Kirche mit ihrer Architektur, ihren Ritualen und Gesetzen, ihrer Musik und Kunst sowie ihrer geschriebenen Tradition als einen koadaptierten stabilen Satz sich gegenseitig stützender Meme betrachten.
Greifen wir ein spezielles Beispiel heraus: Ein Aspekt der Lehre, der auf sehr wirkungsvolle Weise religiösen Gehorsam erzwungen hat, ist die Drohung mit dem Fegefeuer. Viele Kinder und selbst manche Erwachsene glauben, daß sie nach dem Tode gräßliche Qualen erleiden werden, wenn sie die priesterlichen Vorschriften nicht befolgen. Diese ausgesprochen üble Überredungstechnik hat während des Mittelalters viel seelisches Leid hervorgerufen und tut
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