Das egoistische Gen
ableiten, aber ich suche ein einsilbiges Wort, das ein wenig wie „Gen“ klingt. Ich hoffe, meine klassisch gebildeten Freunde werden mir verzeihen, wenn ich Mimem zu Mem verkürze. 2 Sollte es irgend jemandem ein Trost sein, so könnte er sich wahlweise vorstellen, daß es mit dem lateinischen memoria oder mit dem französischen Wort même verwandt ist.
Beispiele für Meme sind Melodien, Gedanken, Schlagworte, Kleidermoden, die Art, Töpfe zu machen oder Bögen zu bauen.
So wie Gene sich im Genpool vermehren, indem sie sich mit Hilfe von Spermien oder Eizellen von Körper zu Körper fortbewegen, verbreiten sich Meme im Mempool, indem sie von Gehirn zu Gehirn überspringen, vermittelt durch einen Prozeß, den man im weitesten Sinne als Imitation bezeichnen kann.
Wenn ein Wissenschaftler einen guten Gedanken hört oder liest, so gibt er ihn an seine Kollegen und Studenten weiter.
Er erwähnt ihn in seinen Veröffentlichungen und Vorlesungen.
Findet der Gedanke neue Anhänger, so kann man sagen, daß er sich vermehrt, indem er sich von einem Gehirn zum anderen ausbreitet. Wie mein Kollege N. K. Humphrey einen früheren Entwurf dieses Kapitels treffend zusammenfaßte, sollten „ ...Meme ... als lebendige Strukturen verstanden werden, nicht nur im übertragenen, sondern im technischen Sinne. 3 Wenn jemand ein fruchtbares Mem in meinen Geist einpflanzt, so setzt er mir im wahrsten Sinne des Wortes einen Parasiten ins Gehirn und macht es auf genau die gleiche Weise zu einem Vehikel für die Verbreitung des Mems, wie ein Virus dies mit dem genetischen Mechanismus einer Wirtszelle tut ... Und dies ist nicht einfach nur eine Redeweise – das Mem etwa für ›den Glauben an das Leben nach dem Tod‹ ist tatsächlich viele Millionen Male physikalisch verwirklicht, nämlich als eine bestimmte Struktur in den Nervensystemen von Menschen überall auf der Welt.“
Betrachten wir die Idee „Gott“. Wir wissen nicht, wie sie im Mempool entstanden ist. Wahrscheinlich wurde sie viele Male durch voneinander unabhängige „Mutationen“ geboren. Auf jeden Fall ist sie wirklich sehr alt. Wie repliziert sie sich? Durch das gesprochene und geschriebene Wort, unterstützt von großer Musik und großer Kunst. Warum hat sie einen derart hohen Überlebenswert? Denken wir daran, daß „Überlebenswert“ hier nicht Wert für ein Gen im Genpool bedeutet, sondern Wert für ein Mem in einem Mempool. Die Frage heißt eigentlich: Was ist an der Vorstellung von einem Gott so Besonderes, das ihr in der kulturellen Umwelt ihre Beständigkeit und Wirksamkeit verleiht? Der Überlebenswert des Gott-Mems im Mempool ergibt sich aus seiner großen psychologischen Anziehungskraft. Es liefert eine auf den ersten Blick einleuchtende Antwort auf unergründliche und beunruhigende Fragen über das Dasein. Es legt den Gedanken nahe, daß Ungerechtigkeiten auf dieser Welt vielleicht in der nächsten ausgeglichen werden. Die Arme des ewigen Gottes geben uns in unserer Unzulänglichkeit einen Halt, der – wie die Placebo-Pille des Arztes – dadurch nicht weniger wirksam wird, daß er nur in der Vorstellung besteht. Dies sind einige der Gründe, warum die Idee „Gott“ so bereitwillig von aufeinanderfolgenden Generationen individueller Gehirne kopiert wird. Gott existiert, und sei es auch nur in der Gestalt eines Mems, das in der von der menschlichen Kultur geschaffenen Umwelt einen hohen Überlebenswert oder eine hohe Ansteckungsfähigkeit besitzt.
Einige meiner Kollegen haben mir zu verstehen gegeben, daß diese Darstellung des Überlebenswertes des Gott-Mems gerade das voraussetzt, was sie zu beweisen versucht. Letzten Endes wollen sie immer wieder auf die „biologischen Vorteile“ hinaus. Es reicht ihnen nicht, wenn ich sage, daß die Idee von der Existenz eines Gottes „große psychologische Anziehungskraft“ besitzt. Sie wollen wissen, warum das so ist. Psychologische Anziehungskraft bedeutet Anziehungskraft für Gehirne, und Gehirne werden durch die natürliche Auslese von Genen im Genpool geformt. Sie wollen herausfinden, auf welche Art und Weise der Besitz eines derartigen Gehirns das Überleben von Genen fördert.
Ich kann diese Haltung sehr gut verstehen, und ich selbst zweifle nicht daran, daß der Besitz eines Gehirns wie des unsrigen genetische Vorteile bringt. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß diese Kollegen, wenn sie die Fundamente ihrer eigenen Thesen sorgfältig untersuchen, feststellen werden, daß sie genausooft wie
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