Das egoistische Gen
so ist es an ihm, eine allgemeine Theorie der natürlichen Auslese zu formulieren, welche zwar elterlichen Altruismus, nicht aber Altruismus unter Verwandten in der Seitenlinie voraussagt. Ich glaube, daß ihm dies nicht gelingen wird.
7. Familienplanung
Es ist nicht schwer zu erkennen, warum manche Leute die elterliche Fürsorge gegen die anderen Arten der durch Familienselektion bedingten Selbstlosigkeit abgrenzen wollen. Es sieht so aus, als sei die Pflege des Nachwuchses ein wesentlicher Bestandteil der Fortpflanzung, während dies beispielsweise für den Altruismus einem Neffen gegenüber nicht gilt.
Ich meine, daß man tatsächlich eine wichtige Unterscheidung vornehmen muß, daß die Trennungslinie jedoch an der falschen Stelle gezogen wird. Man stellt Reproduktion und Brutpflege auf die eine Seite und alle anderen Arten von Altruismus auf die andere. Ich dagegen möchte zwischen dem In-die-Welt-Setzen neuer Individuen einerseits und dem Sorgen für bestehende Individuen andererseits unterscheiden. Ich werde diese beiden Aktivitäten das Kinderzeugen oder Gebären beziehungsweise das Kinderpflegen nennen. Eine einzelne Überlebensmaschine hat zwei ganz verschiedene Arten von Entscheidungen zu treffen, Pflegeentscheidungen und Zeugungsentscheidungen. Ich verwende das Wort Entscheidung zur der Bezeichnung eines unbewußten strategischen Zuges.
Die Pflegeentscheidungen gestalten sich so: „Da ist ein Kind; der Grad seiner Verwandtschaft mit mir ist soundso; die Wahrscheinlichkeit, daß es stirbt, wenn ich es nicht ernähre, ist soundso; soll ich es ernähren?“ Zeugungsentscheidungen dagegen sehen folgendermaßen aus: „Soll ich die notwendigen Schritte, welche auch immer es sein mögen, unternehmen, um ein neues Individuum in die Welt zu setzen; soll ich mich fortpflanzen?“ In gewissem Maße müssen Pflegen und Gebären unweigerlich miteinander um die Zeit und andere Ressourcen eines Individuums konkurrieren.
Unter Umständen muß das Individuum wählen: „Soll ich dieses Kind hier betreuen, oder soll ich ein neues bekommen?“ Je nach der Lebensweise und den Lebensbedingungen einer Art können verschiedene Mischungen von Pflege- und Zeugungsstrategien evolutionär stabil sein. Das einzige, was nicht evolutionär stabil sein kann, ist eine reine Pflegestrategie. Wenn alle Individuen sich so sehr der Pflege der bereits vorhandenen Kinder annähmen, daß sie niemals neue Kinder auf die Welt brächten, würde die Population bald von Mutanten überrannt werden, die auf das Gebären spezialisiert wären. Das Pflegen kann nur als Teil einer gemischten Strategie evolutionär stabil sein – zumindest einige Nachkommen müssen geboren werden.
Die Arten, die wir am besten kennen – Säugetiere und Vögel – sind in der Regel sehr fürsorglich. Auf eine Entscheidung, ein Junges zu bekommen, folgt gewöhnlich die Entscheidung, es zu betreuen. Weil Kinderbekommen und -betreuen in der Praxis so häufig Hand in Hand gehen, hat man diese beiden Dinge durcheinandergebracht. Doch vom Standpunkt der egoistischen Gene aus gibt es, wie wir gesehen haben, im Prinzip keinen Unterschied zwischen der Pflege eines kleinen Bruders und der eines kleinen Sohnes. Beide Kleinkinder sind gleich nah mit mir verwandt. Wenn ich zu wählen habe, wen von beiden ich ernähre, gibt es genetisch keinen Grund, mich für meinen eigenen Sohn zu entscheiden. Andererseits kann ich per definitionem keinen kleinen Bruder gebären. Ich kann ihn nur pflegen, nachdem jemand anders ihn auf die Welt gebracht hat. Im vorigen Kapitel haben wir uns angesehen, wie die einzelnen Überlebensmaschinen im Idealfall entscheiden sollten, ob sie sich anderen, bereits existierenden Individuen gegenüber altruistisch verhalten sollen oder nicht. In diesem Kapitel wollen wir sehen, auf welche Weise sie entscheiden sollten, ob sie neue Individuen in die Welt setzen oder nicht.
Hauptsächlich an diesem Gegenstand hat sich die Auseinandersetzung über „Gruppenselektion“, die ich im ersten Kapitel erwähnt habe, entzündet. Und dies deshalb, weil Wynne-Edwards, der Hauptverantwortliche für die Verbreitung des Gedankens der Gruppenselektion, diese Auffassung im Rahmen einer Theorie der „Regulierung der Populationsgröße“ vorbrachte. Er äußerte die Ansicht, daß die einzelnen Tiere dem Wohl der Gruppe zuliebe freiwillig und selbstlos ihre Geburtenrate reduzieren.
Dies ist eine sehr verlockende Hypothese, weil sie so gut damit übereinstimmt,
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