Das egoistische Gen
direkten Beweis dafür, daß irgendeine Ansammlung tatsächlich epideiktisch ist, aber nehmen wir ruhig einmal an, man fände einen derartigen Beweis.
Würde dies die Theorie des egoistischen Gens in Verlegenheit bringen? Nicht im geringsten.
Stare verbringen die Nacht in riesigen Scharen. Nehmen wir an, es würde nicht nur bewiesen, daß Überbevölkerung im Winter die Fruchtbarkeit im darauffolgenden Frühjahr senkt, sondern auch, daß dies unmittelbar darauf zurückzuführen ist, daß die Vögel die Lautäußerungen der Schar registrieren.
Es ließe sich vielleicht experimentell zeigen, daß Individuen, die der Tonbandaufnahme eines überfüllten und sehr lauten Starenschlafplatzes ausgesetzt wurden, weniger Eier legen als Individuen, die die Aufnahme eines ruhigeren, weniger stark frequentierten Schlafplatzes hörten. Definitionsgemäß würde dies darauf hindeuten, daß die Rufe der Stare tatsächlich eine epideiktische Darstellung sind. Die Theorie des egoistischen Gens würde dies fast genauso erklären wie den Fall der Mäuse.
Wieder gehen wir von der Annahme aus, daß Gene für die Produktion von mehr Nachwuchs, als man tatsächlich unterhalten kann, automatisch bestraft werden und im Genpool an Zahl abnehmen. Eine sich effizient fortpflanzende Vogelmutter muß voraussagen, welches in der kommenden Brutzeit die optimale Gelegegröße für sie in ihrer Eigenschaft als egoistisches Individuum sein wird. Der Leser wird sich von Kapitel 4 her an die besondere Bedeutung erinnern, in der wir das Wort Voraussage verwenden. Wie kann nun ein Vogelweibchen seine optimale Gelegegröße voraussagen? Welche Variablen sollten in seine Berechnung eingehen? Es mag sein, daß viele Arten eine feste Voraussage machen, die sich von einem Jahr zum anderen nicht ändert. So ist für einen Baßtölpel in der Regel ein Gelege mit nur einem Ei optimal. Möglicherweise steigt das tatsächliche Optimum in Rekordfischjahren vorübergehend auf zwei Eier. Doch wenn es für die Tölpel keine Möglichkeit gibt vorherzusehen, ob ein bestimmtes Jahr ein Rekordjahr sein wird oder nicht, können wir nicht erwarten, daß einzelne Weibchen das Risiko eingehen, ihre Kräfte auf zwei Eier zu verschwenden, wenn dies in einem Durchschnittsjahr ihren Fortpflanzungserfolg beeinträchtigen würde.
Es mag aber andere Arten geben, vielleicht Stare, für die es im Prinzip möglich ist, im Winter vorauszusagen, ob eine bestimmte Nahrungsquelle im kommenden Frühjahr eine gute Ernte liefern wird. Es gibt zahlreiche alte Bauernregeln, denen zufolge Anzeichen wie beispielsweise der Überfluß von Stechpalmenbeeren gute Indikatoren für das Wetter im darauffolgenden Frühjahr sein können. Gleichgültig, ob irgendeine einzelne Altweibergeschichte wahr ist oder nicht, es ist auf jeden Fall logisch möglich, daß es solche Hinweise gibt und daß eine gute Prophetin theoretisch ihre Brutgröße von Jahr zu Jahr so steuern könnte, wie das für sie von Vorteil wäre. Stechpalmenbeeren mögen verläßliche Indikatoren sein oder nicht, die Populationsdichte dürfte jedoch – wie im Fall der Mäuse – mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein guter Indikator sein. Eine Starenmutter kann im Prinzip wissen, daß sie im kommenden Frühjahr, wenn sie ihre Jungen wird füttern müssen, mit rivalisierenden Artgenossen um Nahrung konkurriert. Wenn sie im Winter irgendwie die örtliche Dichte ihrer eigenen Art schätzen kann, so könnte ihr dies bei der Voraussage, wie schwierig es sein wird, im nächsten Frühjahr Futter für junge Vögel zu bekommen, eine wertvolle Hilfe sein. Stellt sie fest, daß die Winterpopulation besonders groß ist, so könnte es von ihrem eigenen egoistischen Standpunkt sehr wohl eine kluge Strategie sein, relativ wenige Eier zu legen: Der Schätzwert für ihre eigene optimale Gelegegröße würde vermindert.
Nun wird es in dem Moment, in dem die Individuen tatsächlich ihre Brutgröße auf der Basis ihrer Schätzung der Populationsdichte reduzieren, unmittelbar zum Vorteil jedes egoistischen Individuums sein, seinem Rivalen gegenüber vorzugeben, daß die Population groß ist – gleichgültig, ob sie dies wirklich ist oder nicht. Wenn Stare die Populationsgröße anhand des Geräuschvolumens an einer Winterschlafstelle schätzen, so würde es sich für jedes Individuum auszahlen, so laut wie möglich zu rufen, damit es eher wie zwei Stare klingt als wie einer. Der Gedanke, daß Tiere vorgeben, mehrere Tiere auf einmal zu sein, ist in einem
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