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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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eine hungrige Meute das Haus stürmen.«
    Ich lief hinaus, band das Kalb los und führte es wieder in seinen Stall. Die Luft war noch erfüllt von Brandgeruch und Rauch, doch der nahende Regen kündigte sich bereits als frischer Hauch an.
    Bis um fünf Uhr morgens stand ich am Herd, briet Speck, kochte Kaffee, röstete Brot und hörte mir die Geschichte sämtlicher Brandfälle an, die das Land heimgesucht hatten seit dem Einzug der Pioniere. Paw Kettle und seine Söhne stolzierten gleich Helden und keineswegs als reuige Sünder einher. In der allgemeinen Erleichterung, ein großes Unglück abgewendet zu haben, und natürlich auch beschwingt durch den von Jefferson gestifteten Whisky, herrschte eitel Wonne und Zufriedenheit unter den Männern; keiner nahm Paw seine Großsprechereien übel; alle ermunterten ihn, immer wieder zu erzählen, wie ihm zuerst Rauch in die Nase gestiegen sei, wie er sich darauf verhielt, wen er rief, was er tat, was er dachte und ob er unter seinen Tieren irgendwelche Verluste erlitten. Ich sehnte mich nach meinem Bett und atmete erlöst auf, als Paw dem Zusammensein ein jähes Ende bereitete, indem er anfing, von vergangenen Zeiten zu sprechen, wo bei einem Unglücksfall alle Nachbarn sich eine Ehre daraus gemacht hätten, dem Betroffenen durch ihre Hilfe wieder auf die Beine zu helfen. Es wäre nicht Paw Kettle gewesen, hätte er es dabei bewenden lassen. »Und ich hab gehört, daß JEDER NACHBAR BISSCHEN WAS BRACHTE, der eine Nägel, un der andere die Pfosten, UN DER DRITTE BOLZEN …« Bevor er seine Wunschliste beenden konnte, hatten bis auf Bob und Jefferson alle fluchtartig unsere Küche verlassen.

Gewonnen
    Am nächsten Tag regnete es in Strömen, und alles, was von dem Brand übrigblieb, waren verkohlte Baumstümpfe, viel Asche und ein beizender Geruch in der Luft. Bob schlief bis nach neun Uhr und fuhr dann ins Städtchen, um Planken und Pfosten für eine Erweiterung des Hühnerstalles und der Bruthäuser zu kaufen. Er hatte große Pläne. Im Frühling sollten fünftausend Küken ausgebrütet werden. Selbst bei reichlicher Kalkulation der Ausfälle bedeutet das einen Stock von zweitausend Legehennen im nächsten Herbst. Auch eine Kuh wollte er erwerben, die voraussichtlich im März kalben würde, hundert junge Hähnchen und fünf Ferkel. Außerdem beabsichtigte er, von einem Farmer im westlichen Tal eine elektrische Anlage zu kaufen.
    Unsere Zukunftsaussichten waren gut, aber meine Stimmung hatte den Nullpunkt erreicht. Das Feuer saß mir noch in den Knochen, ich war müde und überarbeitet, und selbst das Zauberwort »elektrisches Licht« vermochte nicht, mich aus meiner Lethargie aufzurütteln. Der zweite Winter auf der Farm stand uns bevor, und obwohl ich doch nun kein Neuling mehr war, kam ich mir unsicher vor und ängstlich wie ein blinder Passagier, der ohne Paß und Fahrkarte den Ozean überquert. Ich stand in meine trübseligen Gedanken versunken beim Ausguß, als ich plötzlich eine sonderbare Person in den Garten einschwenken sah. Sie trug ein flatterndes weißes Kleid, weder Hut noch Mantel und grinste blöde vor sich hin. Mit tänzelnden Schritten schwebte sie auf den Kirschbaum zu, unter dem noch Spielzeug von Anne lag, hob eine hölzerne Ente auf, die sie an den Busen preßte, und tanzte um den Baum. Mir kam die Sache nicht ganz geheuer vor. Irgend etwas stimmte nicht mit der Person. Plötzlich ging mir ein Licht auf: Es mußte eine Verrückte sein! Wer weiß, wo sie entsprungen war, denn ihr Haar hatte man geschoren. Ich stand wie vor den Kopf geschlagen da, keines Gedankens fähig, und war im Augenblick in bezug auf Geisteskraft nicht sehr weit entfernt von der Fremden da draußen. Doch dann legte sich die Lähmung, und ich überlegte, daß ich vor allem erst einmal die Türen schließen mußte. Ich sperrte die Küchentür zu, aber ihr Schloß war mehr ein Symbol als eine Sperrmaßnahme. Das Rütteln an der Tür hatte die Verrückte auf mich aufmerksam gemacht. Sie kam zum Küchenfenster gerannt und steckte grinsend den Kopf herein. Ihre Augen blieben keinen Moment still, und sie lachte wild, was wahrscheinlich ein Ausdruck für das Vergnügen war, das es ihr bereitete, von Fenster zu Fenster zu rennen und »Ich-seh-dich-doch-du-siehst-mich-nicht« zu spielen. Was fang ich nur an? überlegte ich krampfhaft, da fiel mir siedendheiß ein, daß im Schlafzimmer die Fenster weit offenstanden und Klein-Anne dort schlief. Mir war, als stünde ich in einem tiefen Fluß und

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