Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Nochmals. Der Ruf des Käuzchens.
    Er legte den Kopf schräg. Nichts.
    Vielleicht waren sie noch zu weit weg?
    Er ging nochmals zwei-, dreihundert Meter bergan und versuchte es wieder.
    Und diesmal kam die Antwort. Ein einsamer, hohler Käuzchenruf. Dreimal …
    Na also! Es dauerte nur wenige Minuten, bis er festen Boden unter den Sohlen seiner Stiefel spürte: der Ziehweg.
    Bendler, der Riese, ging bergan, so kraftvoll, wie nur er das konnte, und verharrte erst, als eine Männerstimme seinen Namen rief.
    »Willi! – Bist du's, Willi?«
    Hans, einer der beiden Gera-Vettern. – Bist du's, Willi? – Hatte er diesen Eseln nicht eingeschärft, stets und unter allen Umständen das Losungswort zu benutzen. ›Aurora‹ lautete es in dieser Woche. Wahrscheinlich hatten sie's schon wieder vergessen.
    »Gott sei Dank! Da bist du ja, Willi.«
    Ein Schatten tauchte vor ihm auf.
    Bendler schluckte den Groll hinunter, tätschelte Hans Hilperts Schulter, wollte jetzt keinen Streit, auch keine Auseinandersetzung um Losungsworte – einen Schluck Schnaps wollte er, besser wäre noch Wein, ein Stück Brot und Speck dazu, nach der ganzen aufregenden Fahrt als blinder Kutschen-Passagier knurrte ihm der Magen.
    Die Köhlerhütte war aus rohen, mit Lehm verfugten Tannenstämmen zusammengefügt. Drinnen hatten sie ein Feuer angefacht. Durch die geöffnete Tür konnte er den Flammenschein erkennen. Nun ja, so bedenklich war das nicht. In diesen abgelegenen Teil des Thüringer Waldes wagte sich bei Nacht niemand. Schon gar nicht eine Streife der königlich sächsischen Gendarmerie.
    Er mußte den Kopf mächtig einziehen und dabei gleichzeitig in die Knie gehen, um die Hüttentür zu passieren.
    Und dort empfing ihn Lärm, Geschrei und Lachen. Sie waren alle aufgesprungen, nur Sottka blieb am Tisch sitzen: klein und gekrümmt, den dreckigen, längst verspeckten Zylinder mit der zerrissenen Krempe wie immer auf dem Kopf. Joseph Hilpert, Student wie Hans, umarmte ihn. Die vertrauten Gesichter. Augen, in denen die Erleichterung lag, den Anführer wieder bei sich zu wissen. »Was ist, Willi? Wie war es?«
    »Erzähl' ich noch. Jetzt kann ich nicht. Mein Magen knurrt lauter als meine Stimme. Hört ihr ihn nicht? Gebt mir Futter.«
    Joseph hatte schon das Messer und den Brotlaib in der Hand. Otto, den sie ›Frosch‹ nannten, seit er mit einem gewaltigen Sprung von der Rodach-Brücke der Eskorte entwich, die ihn ins Polizeigefängnis nach Coburg bringen wollte, schnitt ein Stück Käse ab.
    »Speck habt ihr keinen?«
    »Bedauerlicherweise nicht, Eure Exzellenz«, ließ sich Sottka vernehmen. Er lüpfte den Zylinder und zog ihn in einem höfisch-eleganten Halbbogen über den Kopf. »Aber falls Euer Hochwohlgeboren mit unserem bescheidenen Mahl nicht vorliebnehmen …«
    »Hör auf mit dem Mist!« sagte Bendler, schlug die Zähne in das Brot und kaute. Und dann warf er einen seiner langen dunklen Blicke zu der kleinen Gestalt dort am Tisch. Sottka versuchte dem Blick zu begegnen. Die runden Brillengläser funkelten. Doch Willi Bendler wandte sich ab. Seit jener Nacht in der fernen Mark Brandenburg konnte er den Kerl einfach nicht mehr sehen, seit jener Nacht, als er mitansehen mußte, wie Sottka, den er stets für einen jener verschrobenen Intellektuellen gehalten hatte, die sich seit den Zensur- und Knebel-Gesetzen zu Dutzenden in den Reihen der Freischärler finden ließen, kaltblütig mit dem Dolch einen Gefangenen tötete. Und dieser Gefangene war dazu noch eine Frau … Sie mochte die Strafe verdient haben, gewiß, deshalb sollte sie ja auch zum Beweis der deutschen Gesinnung der Freischar-Bewegung den Behörden übergeben werden – aber doch gefangen übergeben! Gefangen und lebendig. Nicht ermordet.
    In dieser Nacht hätte er beinahe selbst Schuld auf sich geladen und Sottka erwürgt. Nur den anderen war es zu verdanken, daß er noch lebte, ihrer Freundschaft, nicht ihrem Argument: »Sie hätte uns verraten, wie sie jeden verraten hat. Es war besser so …«
    Nein, es war nicht besser so. Sottka hatte ein Kains-Mal gesetzt. Und darunter würden sie als Bruderschaft ewig leiden. Auch wenn ihnen die Flucht nach Böhmen gelang. Die Folgen waren schlimm genug. Er mußte das Korps auflösen. Nur als einzelne Gruppen hatten sie die Chance, der Polizeiverfolgung zu entkommen.
    Doch dies war nicht die Zeit für solche Gedanken …
    Bendler las die Zeit von seiner Taschenuhr: kurz vor Mitternacht. Es gab keine Überlegung und keine Diskussion:

Weitere Kostenlose Bücher