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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wurde es still am knisternden Kamin – es sprach allein der Wein.
    Der Schein der Flammen zuckte über die dunkel getäfelten Wände und die schwere Rautendecke.
    Erst weit nach Mitternacht verließen die Gäste gemeinsam das einsame, große Haus in der Rampschen Gasse. Otto Heinrich ging mit ihnen. Caspar David Friedrich und Maltitz hatten ihn untergehakt und sprachen leise auf ihn ein.
    Man ging durch den knisternden, verharschten Schnee zur Brühlschen Terrasse. In einem kleinen Weinlokal, nahe der Frauenkirche, war in einem Hinterzimmer schon ein Tisch gedeckt.
    Der Wirt stand in der Tür und dienerte.
    Was in dieser Nacht besprochen wurde, erfuhr man nie. Es war ein toller Plan, den Münzmarschall zu retten.
    Als Otto Heinrich gegen Morgen auf sein Zimmer gehen wollte, traf er den Vater noch im Arbeitszimmer an.
    Stumm sahen sie sich an.
    Dann sagte Otto Heinrich leise:
    »Es geht gut, Vater. Die Zukunft gehört uns …«
    Und der Münzmarschall legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter, wandte sich dann ab und trat an das verhängte Fenster.
    »Ich tat dir manches Unrecht, Otto Heinrich. Ich bin ein alter Mann, verzeihe mir …«
    Im Rücken des Marschalls klappte eine Tür. Eilige Schritte entfernten sich. Sie hallten in den weiten Räumen.
    Otto Heinrich floh vor seinen Tränen.
    Gleich nach dem zweiten Weihnachtstag fuhr Herr von Seditz mit einer königlichen Extrapost nach Berlin zu dem Gesandten Ritter von Bollhagen. Freiherr von Maltitz begab sich in das Großherzogtum Posen nach der Festung Thorn, um die Grenze nach Polen unter den Augen zu haben. Der Ritter von Bruneck dagegen wandte sich nach Kleve und wartete an den niederländischen Schlagbäumchen.
    Ein heimliches Kesseltreiben begann. Die Geheimdienste von Sachsen, Preußen, Posen, Schlesien, Westfalen, Hannover, Bayern, Württemberg und Baden bekamen ihre Ordre und das Signalement einer Madame de Colombique, geborene Vera Veranewski Bulkow aus Moskau.
    Otto Heinrich Kummer aber feierte in Dresden mit den Eltern und den lachenden Geschwistern das neue Jahr 1835, und als die Glocken Dresdens schallend die erste Stunde einläuteten, die Fenster aufgestoßen wurden und helle Stimmen, jubelnd, weinfroh durch die Schneenacht lachten, saß der Münzmarschall dem einst verbannten Sohne gegenüber und hielt dessen heiße Hände.
    »Ich habe nie gewußt, daß Liebe stärker ist als Haß«, sagte er leise.
    »Vater …«
    Der Alte winkte ab.
    »Ich weiß, es gab einst eine Zeit, wo du den Vater haßtest! Wann war das? Es ist lange her …«
    »Vater … ich …«
    Der Junge stotterte. Er wollte seine Hände an sich ziehen, doch der Vater hielt sie fest und blickte auf die zarten, schmalen Finger.
    »Diese Hand schrieb einst: Ich habe keinen Vater mehr! – Ach, es ist lange her. Ich habe es nie verstanden, ich war in eine andere Welt geboren als mein Sohn. Ich tat ihm Unrecht, ich war hart, ich schickte ihn in eine Einsamkeit, damit er sehen und sein Inneres reifen lerne. Und dieser Sohn ist da, als man den Vater, der für ihn gestorben war, ins Unrecht stieß. Ist da und sagt zu mir: Vater! – Was habe ich an dir gesündigt! Verzeih mir, Otto Heinrich – in dieser Stunde – verzeih.«
    Er legte seinen Kopf auf die Hände des Sohnes und schwieg.
    Otto Heinrich bebte am ganzen Körper. Er wollte schreien, weglaufen, hinaus in die Nacht, in den Schnee, in die Kälte, laufen, immer laufen, bis zur Elbe, bis in das Gebirge, bis nach Frankenberg, laufen, laufen … Nur das nicht sehen, nur das nicht hören müssen … diesen Zusammenbruch seines Vaters, seines harten, herrischen Vaters, des stolzen Münzmarschalls.
    »Was tust du«, stammelte er. »Vater … Vater … was tust du …?«
    »Ich habe einen Sohn wiedergefunden«, sagte der Alte. »Und dafür danke ich dem Himmel …«
    Als Otto Heinrich nach einer Stunde das Arbeitszimmer des Vaters verließ, trug er an seiner Hand den alten Familienring der Kummers.
    Es war der Ring, den der Vater stets dem liebsten Sohn vererbte.
    In seinem Zimmer schloß sich Otto Heinrich ein.
    Die ganze Nacht hindurch brannte bei ihm die Lampe.
    Unter seinem Fenster leuchtete der Schnee.
    Am Morgen fuhr er ab. Zurück nach Frankenberg.
    Er sah den Vater nicht mehr. Die Mutter sagte, ihm sei unwohl, und gab dem Sohn den Segen.
    Erst als die Türme Dresdens in dem Morgendunst verschwammen, lehnte sich Otto Heinrich in das harte Polster zurück und legte beide Hände vor seine Augen.
    Er weinte.
    Doch er wußte nicht zu

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