Das einzige Kind
ich nur eins, nämlich, daß Sie ein Verhältnis mit Agnes Vestavik hatten. Und das ist nun wirklich kein Verbrechen. Und wir belästigen Sie nicht, um Sie zu bestrafen.
Sondern um uns ein möglichst vollständiges Bild von ihrem Leben zu machen. Was sie getan hat, wen sie gekannt hat, wie sie ihr Leben gelebt hat. Um ganz ehrlich zu sein, wir kommen nicht weiter. Wir können uns einfach nicht vorstellen, wer ein Motiv gehabt haben könnte, eine brave ordentliche
Kinderheimleiterin mit bravem, ordentlichem Leben zu ermorden. Und wenn wir dann entdecken, daß dieses Leben doch nicht ganz so brav und ordentlich war, dann ist natürlich unser Interesse geweckt. Aber das heißt noch lange nicht, daß wir annehmen, Sie hätten Ihre Bekannte umgebracht.«
Getroffen. Das war eine viel bessere Taktik. Es im guten zu versuchen.
137
Der Mann beugte sich in seinem Sessel vor und schlug die Hände vors Gesicht. So saß er eine Weile schweigend da. Billy T. gab ihm Zeit.
Schließlich richtete der Mann sich wieder auf, fuhr sich über die unrasierte Wange und atmete schwer.
»Wir hatten ein Verhältnis. Eine Art Verhältnis. Ich meine, wir hatten keinen Sex. Aber sie war … wir waren … verliebt.«
Er schien dieses Wort noch nie benutzt zu haben, und es war irgendwie zu schön für diesen groben, breiten Mund. Das wußte er auch selbst. »Wir waren sehr miteinander beschäftigt«, korrigierte er sich. »Wir haben uns getroffen, um zu reden, um zusammen zu sein. Sind spazierengegangen. Sie war …«
Was sie war, kam nie heraus, denn nun kämpfte er mit den Tränen und trug schließlich den Sieg davon. Aber es dauerte zwei Minuten.
»Sie müssen doch begreifen, daß ich Agnes niemals
umgebracht hätte! Himmel, sie war doch das Beste, was mir seit Jahr und Tag passiert war!«
»Wie haben Sie sich kennengelernt?«
»Was glauben Sie wohl? Sie wollte natürlich ein Auto kaufen.
Sie kam zusammen mit ihrem Mann, einem blaßgesichtigen Trottel. Der kannte nicht einmal den Unterschied zwischen Hubraum und PS. Es war deutlich, daß Agnes die Kasse unter sich hatte, und sie hat die Sache dann weiter verfolgt. Wir kamen gut miteinander aus, und dann … dann ist es einfach so weitergegangen.«
»Und was ist mit Ihrem Gerede beim Job? Daß Sie sich Geld zusammengevögelt hätten?«
»Ach, das … nur Gerede unter Jungs.«
Er sah nicht einmal beschämt aus. Billy T. hätte gern erzählt, daß Jungs über sechzehn in dieser Hinsicht nicht lügen sollten, und Jungs über fünfzig erst recht nicht, aber er schwieg.
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»Worüber haben Sie an dem Abend gesprochen, an dem Sie ermordet worden ist?«
»Gesprochen? An dem Abend habe ich sie doch gar nicht gesehen.«
»Keine Panik. Ich rede von Ihrem Telefongespräch. Sie hat vom Büro aus angerufen. Irgendwann an dem Abend.«
Der Mann wirkte ehrlich überrascht.
»Nein, hat sie nicht«, sagte er entschieden und schüttelte energisch den Kopf. »Ich war mit einem Wagen in Drøbak und erst nach Mitternacht wieder zurück. Hab mich vor der Rückfahrt mit einem alten Kumpel getroffen und ein paar Tassen Kaffee getrunken. Und das kann ich beweisen.«
Billy T. machte einen Schmollmund und starrte dem anderen schweigend in die Augen. Der Autohändler verlor und senkte den Blick.
»Na gut«, sagte Billy T. »Hat sie gewußt, daß Sie nicht zu Hause waren?«
»Das kann ich nicht mehr sagen, aber ich wußte immerhin, daß sie ins Heim wollte. Da hatte es Ärger gegeben. Irgendwer hatte sie hintergangen. Sie hat nicht viel erzählt, aber sie war sehr enttäuscht.«
»Irgendwer? Mann oder Frau?«
»Keine Ahnung. Sie hat ihre Schweigepflicht sehr ernst genommen. Selbst über die Kinder hat sie nur wenig erzählt, und dabei war sie doch den ganzen Tag mit denen beschäftigt.«
Billy T. holte dem Mann eine Tasse Kaffee und setzte sich an den Computer. Eine halbe Stunde lang war in dem kleinen Büro nichts anderes zu hören als Billy T.s riesige Finger, die die PC-Tastatur mißhandelten. Als er fertig zu sein glaubte, hatte er nur noch eine Frage.
»Sollte es weitergehen mit Ihnen? Hat sie von Scheidung gesprochen?«
139
Der Mann machte ein schwer zu deutendes Gesicht.
»Ich weiß ja nicht, ob es so weit gekommen wäre. Aber sie hat einmal gesagt, sie hätte sich längst entschieden und auch ihren Mann darüber informiert.«
»Das hat sie ganz deutlich gesagt?«
»Ja.«
»Wortwörtlich: Ich habe meinem Mann gesagt, daß ich mich scheiden lassen will, nicht: Mein Mann will keine
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