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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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mich hörte er zwar auch nicht mehr als sonst, aber dem Betreuer gehorchte er ohne Widerworte.
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    Der junge Betreuer rief mich eines Abends spät an. Olav war schon im Bett. Er hatte Fieber und war müde. Ich glaube, er war gerade in die fünfte Klasse gekommen. Der Betreuer fragte, ob ich es schwer fände, meinem Sohn Grenzen zu setzen. Er hatte den Eindruck, daß ich mit Olav » nicht richtig umging « , wie er sagte. Wenn ich wollte, könnte er mich besuchen und mit mir darüber sprechen, wenn er keine Stunden mit Olav hatte und ich ohnehin allein zu Hause war. Er hatte Kontakt zum Jugendamt aufgenommen, wie er zugab, und er versuchte, sich ganz locker zu geben, als er von der Möglichkeit sprach, als eine Art Heimbetreuer bei uns einzusteigen.
    Jugendamt. Heimbetreuer. Diese Wörter bohrten sich wie Messer in mein Herz. Der Betreuer, der in meiner Wohnung gewesen war, der hier gegessen hatte, mit meinem Jungen herumgetollt hatte und den ich so sympathisch gefunden hatte.
    Er hatte mit dem Jugendamt gesprochen.
    Ich legte wortlos auf.
    Zwei Tage später standen die Leute vom Jugendamt vor der Tür.

    Vor Billy T. stand im beschlagenen Glas ein großes Bier mit einer prachtvoll gewölbten Schaumkrone. Hanne hatte sich mit einem alkoholfreien Bier begnügt. Es sah abgestanden und schal aus, die dünne weiße Schicht oben konnte absolut nicht als Schaumkrone bezeichnet werden.
    »Das nenne ich wirklich Vorenthalten von wichtigen Auskünften«, sagte Hanne leise, um am Nachbartisch nicht gehört zu werden.
    Sie saßen auf einer Art Zwischenboden im hinteren Teil der Kneipe. Ein Wirt mit Schickimickiambitionen hätte zweifellos von Mezzanin gesprochen. Aber hier lief dieser Teil des Lokals unter der Bezeichnung Hängeboden.
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    »Und diese Auskunft ist gelinde gesagt ziemlich
    entscheidend«, sagte Billy T. zustimmend und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »War ein Patzer von mir, ihn beim Verhör nicht danach zu fragen.«
    Hanne kommentierte dieses Versäumnis nicht weiter, sondern sagte: »Das bedeutet aller Wahrscheinlichkeit nach, daß der Mörder nicht vorhatte, Agnes umzubringen. Die Sache mit dem Messer hat mir wirklich Kopfzerbrechen bereitet. Blödsinnige Mordwaffe. Unsicher. Atypisch.«
    »Na ja, hierzulande geschieht schon der eine oder andere Mord mit dem Messer«, wandte Billy T. ein.
    »Ja, aber doch nicht vorsätzlich! Wenn du vorhast, einen Menschen aufzusuchen, um ihn umzubringen, dann nimmst du dazu doch kein Messer mit. Messer gehören in die …
    Innenstadt, Samstag nacht, Prügeleien unter Besoffenen, Kneipenfeste, feuchte Ferienausflüge, bei denen Streit ausbricht.
    Außerdem gehören dazu: viele Stichwunden. Und häufig auch ein verletzter Täter.«
    »Du meinst also, der Betreffende hatte etwas ganz anderes vor, und dann hat die Situation sich zugespitzt, und er hat gewissermaßen aus einem Impuls heraus zum Messer gegriffen?
    Weil er nichts Besseres zur Hand hatte sozusagen?«
    »Genau. Genau das meine ich.«
    Das Essen wurde gebracht. Hanne hatte einen Geflügelsalat bestellt, die Arche Noah war das einzige Lokal in der Stadt, wo das Hähnchenfleisch im Geflügelsalat warm serviert wurde.
    Billy T. machte sich über ein doppeltes Kebab her.
    Einige Minuten lang aßen sie schweigend, dann grinste Hanne und legte Messer und Gabel beiseite. Sie schaute ihren Kollegen schräg von unten her an und fragte: »Wie läuft es denn mit deiner Bekannten von den Kanarischen Inseln?«
    Er gab keine Antwort, sondern aß mit unvermindertem Enthusiasmus weiter.
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    »Deine Bräune verblaßt langsam ein bißchen. Trifft das auch für die Liebe zu?«
    Er piekste sie mit der Gabel zwischen die Rippen und sagte mit vollem Mund: »Jetzt sei nicht so gemein und vulgär. Ich will nicht darüber reden.«
    »Laß den Blödsinn, Billy T. Spuck’s aus.«
    Er aß auf, sie wartete geduldig, und endlich wischte er sich mit dem Unterarm den Schnurrbart ab, leerte sein Glas, winkte nach einem neuen und legte seine beiden Fäuste auf die Tischplatte.
    »Das war doch nichts.«
    »Sicher war das was! Noch vor einer Woche hast du doch geradezu auf Wolken geschwebt.«
    »Das war damals, und heute ist heute.«
    Sie dachte nach und wurde ernst.
    »Was ist denn los, Billy T.?«
    Er wirkte gereizt und steckte unnötig viel Energie in den Versuch, Kontakt zum Kellner aufzunehmen, der seine früheren Signale übersehen hatte.
    »Wieso denn?«
    »Was ist mit dir und den Frauen?«
    Billy T. hatte vier Kinder. Und jedes Kind

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