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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Im Fernsehen, im Radio und in den Zeitungen.«
    Er lächelte sein seltsames Lächeln. »Genau wie im Film. Gibt es eine Belohnung?«
    »Nein, Olav. Es gibt keine Belohnung. Du hast schließlich kein Verbrechen begangen. Du sollst nur ins Kinderheim zurück.«
    Sein Gesicht verdüsterte sich. »Verdammt noch mal«, sagte er voller Überzeugung. »Ich will lieber sterben als in dieses Loch zurückgehen.«
    Sie konnte ihr Lächeln nicht unterdrücken. Es war ein müdes, erschöpftes Lächeln. Er sah es und war außer sich.
    »Du grinst, du, du blöde Kuh. Aber ich sag dir eins, jawohl: Ich geh da nicht wieder hin! Kapiert? «
    Verzweifelt gestikulierte sie und zeigte auf die Wand zur Nachbarwohnung, um ihn zum Schweigen zu bringen. Er ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken. Aber dann wußte er nicht mehr, was er noch sagen sollte. Er ging in die Küche und öffnete alle Schubladen. Er zog sie ganz heraus, kippte ihren Inhalt auf den Boden und heulte bei jeder Schublade von neuem auf.
    Sie wußte, daß das vorübergehen würde. Sie konnte nur ganz still dasitzen, die Augen schließen und abwarten. Tränen strömten ihr über die Wangen. Das war zu erwarten gewesen. Es geht vorbei. Bald wird es vorbei sein. Stillsitzen. Nichts sagen.
    Nichts tun. Und ihn auf keinen Fall anfassen. Bald, bald wird es vorbei sein.
    Er brauchte seine Zeit, um alle Schubladen zu leeren. Sie konnte ihn nicht sehen, hörte aber, daß er die Küchengeräte mit Fußtritten traktierte. Es machte einen Höllenlärm, das mußten die Nachbarn mitkriegen. Sie zerbrach sich gerade den Kopf über eine mögliche Erklärung, als die Türglocke ging.
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    Sofort hielt der Junge inne. Plötzlich stand er in der Türöffnung, und nun sah er wieder verängstigt aus. Er starrte sie an, nicht um Hilfe bittend, sondern mit dem Befehl, erst dann zu öffnen, wenn er sich versteckt hatte. Wortlos verschwand er in ihrem Schlafzimmer. Sie schlich hinterher, schloß die Tür hinter ihm und wischte sich auf dem Weg zur Wohnungstür die Augen.
    Vor ihr stand die Frau aus der Wohnung unter ihrer, eine ältere Dame, die so ziemlich alles wußte, was im Block vor sich ging.
    Und das war kein Wunder, denn sie saß fast immer am Küchenfenster und behielt alle im Auge, die kamen und gingen; sie beschwerte sich überall über Krach, über Musik, darüber, daß die Leute die Wäscheordnung nicht einhielten oder nicht termingerecht die Treppe putzten.
    »Das war ja vielleicht ein Krach«, sagte sie mißtrauisch. »Ist Ihr Sohn wieder zu Hause?«
    Sie reckte ihren dünnen Hals, um in die Wohnung zu spähen.
    Birgitte Håkonsen machte sich so groß und breit, wie sie nur konnte.
    »Nein, ist er nicht. Mir ist etwas auf den Boden gefallen. Tut mir leid.«
    »Eine halbe Stunde lang ist Ihnen etwas auf den Boden gefallen?« fragte die Alte spöttisch. »Ja, das glaube ich Ihnen gern. Haben Sie Besuch?«
    Sie reckte den Hals noch mehr, und weil sie größer war als Olavs Mutter, konnte sie das weiße Rechteck hinten im dunklen Flur sehen. Aber daraus konnte sie nichts ableiten.
    »Nein, ich habe keinen Besuch. Ich bin allein. Und das mit dem Lärm tut mir leid. Es soll nicht wieder vorkommen.«
    Sie wollte der Nachbarin schon die Tür vor der Nase zuschlagen, da hörte sie, wie diese drohend etwas von Polizei murmelte. Einen Moment lang zögerte sie, und so blieb die Tür einen Spaltbreit offen. Dann entschied sie sich und knallte sie zu. Sie legte sogar die Sicherheitskette vor.
    176
    Olav saß im Lotussitz auf ihrem Bett. Für seine Fülle war er bemerkenswert gelenkig. Mehr denn je ähnelte er einem Buddha. Sie blieb stehen und sah ihn an. Beide schwiegen. Dann stöhnte er, es war fast ein leises Heulen; er streckte die Arme aus, schaute zur Decke und fragte in die Luft hinein: »Was soll ich machen?«
    Sie gab keine Antwort, denn er hatte nicht sie gefragt. Sie drehte sich um und stapfte in die Küche, um aufzuräumen. So leise wie überhaupt nur möglich.
    Niemand wollte auf mich hören, wenn ich diese MCD zur Sprache brachte. Ich versuchte es zuerst im Kindergarten, aber die lächelten nur und sagten, das würde sich schon alles auswachsen. Wieder spielte ich mit dem Gedanken ans Jugendamt, aber ein drittes Mal würde ich denen sicher nicht entkommen.
    Dann kam er in die Schule. Das konnte ja nicht gutgehen.
    Schon am allerersten Tag, vor allen Eltern, stand er mitten in der ersten Stunde auf und verließ das Klassenzimmer. Die Lehrerin machte ein seltsames Gesicht und

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