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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Richtung. Und Olav mußte wieder losrennen. Zum Glück fand er eine offene Kellertür, die in eine Autowerkstatt oder etwas ähnliches führte.
    Ehe er von einem übelgelaunten grauhaarigen Mann, der ihn mitten im Schmieröl entdeckt hatte, hinausgeworfen wurde, war der Streifenwagen zum Glück wieder verschwunden.
    Aber es dauerte entsetzlich lange. Er mußte das Heim doch bis zum Abend erreicht haben. Vielleicht könnte er das letzte Stück ja mit dem Bus fahren. Vielleicht. Das würde sich finden. Er hatte sich noch nicht entschieden.

    »Überall wird nach ihm gesucht. Zweimal ist er gesehen worden. Hier.«
    Erik Henriksen zeigte mit einem auffällig abgenagten Zeigefingernagel auf einen Punkt auf dem ziemlich großen Stadtplan von Oslo, der auf Hanne Wilhelmsens Schreibtisch lag.
    »Und hier.«
    Die Hauptkommissarin machte sich an einer leeren
    Zigarettenschachtel zu schaffen und faltete aus dem Silberpapier einen Storch. Danach beugte sie sich über die Karte und zeichnete mit dem kleinen Finger vage Kreise, dann hatte sie gefunden, was sie gesucht hatte. Sie versuchte, den Storch an dieser Stelle auf dem Stadtplan zu befestigen.
    »Das Kinderheim«, sagte sie.
    Der Storch kippte um.
    Mit einem zerbrochenen Bleistift als Zeigestock zeichnete sie den Weg von Storo zum Heim ein. Die Punkte, die Erik ihr 247
    gezeigt hatte, lagen ungefähr auf einer geraden Linie zwischen beiden Orten, allerdings näher bei Storo als beim Kinderheim.
    »Was zum Teufel hat er denn da zu suchen?« fragte Erik Henriksen und versuchte, den Storch wieder zum Stehen zu bringen. »Er ist doch abgehauen!«
    »Der muß unten ganz flach sein«, instruierte Hanne.
    »Mach ihm größere Füße.«
    »Was will er wohl im Heim?« fragte Erik noch einmal, und nun stand der Papiervogel endlich.
    Hanne gab keine Antwort. Sie hatte keine Ahnung, was Olav Håkonsen im Heim wollte. Aber daß er dorthin wollte, gefiel ihr nicht. Eine bohrende Unruhe quälte sie irgendwo zwischen Bauchnabel und Zwerchfell, und sie wurde immer stärker.
    Dieses Gefühl hatte sie immer, wenn sie irgend etwas, das offenbar von Bedeutung war, nicht verstand. Etwas
    Unvorhersehbares, wofür sie keine passende Theorie entwickeln konnte. Es gefiel ihr überhaupt nicht.
    »Ich hoffe nur, daß sie ihn vorher schon erwischen.«
    »Das tun sie sicher«, sagte Erik beruhigend. »Da sind fünf Wagen unterwegs. So schwierig kann es nun auch wieder nicht sein, einen Zwölfjährigen aufzugreifen.«

    Zwei Uhr nachmittags war schon vorbei, und langsam wurde es enger. Vor allem, wenn sie ihr optimistisches Versprechen einhalten und den Fall vor dem Wochenende noch lösen wollten. Hanne Wilhelmsen graute es jetzt schon – sie würde Cecilie anrufen und ihr sagen müssen, daß sie vermutlich erst spät nach Hause kommen würde. Sie erwarteten Gäste, und sie hatte geschworen, rechtzeitig dazusein.
    » Oh shit! «sagte sie plötzlich, als ihr ihr Versprechen einfiel, im Gemüseladen auf Vaterland frischen Spargel und Auberginen zu besorgen.
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    Der Abteilungsleiter hob fragend die Augenbrauen.
    »Nichts«, sagte Hanne rasch, »das ist nicht wichtig.«
    Sie drehte sich zum Polizeirat um, der in seinem Sessel hing und mit seinem Ohr beschäftigt war. Zuerst versuchte er, den Finger hineinzustecken, offenbar um irgend etwas
    herauszuholen. Als ihm das nicht gelang, nahm er sich eine Büroklammer, bog sie zu einem kleinen Stift auseinander und schob ihn sich in sein Ohr.
    Hanne wußte, daß sie ihn warnen sollte, ließ es aber bleiben.
    »Du bist sicher, daß das für einen Haftbefehl nicht ausreicht?«
    fragte sie zum drittenmal.
    »Ja«, antwortete der Polizeirat und zog den Stift wieder heraus.
    Ein gelbbrauner Klumpen war darauf aufgespießt, und den betrachtete er nun voller Begeisterung. Hanne wandte sich ab.
    Ihr Kollege schob die Büroklammer in seine Brusttasche und setzte sich gerade.
    »Du hast doch nur einen Haufen feine Theorien. Nichts Greifbares. Sie hat ein Motiv, aber daran fehlt es uns bei diesem Fall nun wirklich nicht. An Menschen mit Motiven, meine ich.
    Außerdem weißt du nicht, ob Agnes Maren wirklich mit ihrem gefälschten Zeugnis konfrontiert hat. Wenn du dafür eine Bestätigung auftun kannst, werde ich mir die Sache noch einmal überlegen. Dann nähern wir uns immerhin einem Grund für einen Haftbefehl. Ich brauche mehr, Hanne. Sehr viel mehr.«
    »Aber wir wissen doch, daß sie ihr Zeugnis gefälscht haben muß. Können wir das nicht verwenden?«
    Der Polizeirat

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