Das Ekel von Datteln
gebe es keine verwertbaren Spuren; sie seien alle so verwischt, als habe der letzte Benutzer sie mit einem Lappen oder Wollhandschuhen gestreift.
Am Gepäck: Überall die Prints der Toten, aber einige beschädigt. Den Wandschrank, die Schubladen und den Koffer der Frau, die eher ordentlich gewesen sei, habe wahrscheinlich jemand durchsucht. Aber die Papiere, Geld und Schmuck seien allem Anschein nach vollständig.
»Wenn ich zusammenfassen darf: Alles spricht dafür, dass nach Bakker noch eine andere Person im Raum war.«
Ein allgemeines Flüstern und Raunen, dann hob de Jong beschwichtigend die Hand: »Wir wollen doch heute noch für ein paar Stunden ins Bett!«
Die Kriminaltaktiker hatten sich jede erdenkliche Mühe gegeben, die Aktivitäten Ruth Michalskis zu dokumentieren. Sie legten einen Laufplan vor – von der telefonischen Anmeldung im Hotel am Dienstagmorgen bis zum Abmarsch zur Stoep am Freitagabend –, der aber noch Lücken enthielt. Ihre wichtigsten Stationen waren das Besucherzentrum, die Bibliothek, die Zeitschriftenläden und mehrere Cafés gewesen: Sie hatte alle erreichbare Literatur über die Insel gekauft oder ausgeliehen und zwischendurch ein paar Spaziergänge ums Dorf und zum Strand unternommen …
Das Ergebnis der Nachforschungen unter dem Personal und den Gästen des Hotels sei niederschmetternd: Niemand hatte mehr als ein paar unverbindliche Worte mit Ruth Michalski gewechselt, niemand hatte sie mit jemandem gesehen, und – vor allem – niemand hatte im möglichen Tatzeitraum irgendetwas bemerkt.
»Und was ist mit den vier Leuten auf ihrem Flur?«
»Die sind um eins ins Bett gegangen. Und wenn du mich fragst: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass einer von ihnen sich erst mit seiner Freundin schlafen legt, dann noch einmal aufsteht …«
Der Rest des Satzes ging im Gemurmel unter.
»Und was wissen wir nun wirklich?«, fragte der Brilonspezialist schließlich.
»Aus psychologischer Sicht«, begann ein junger Polizist mit Nickelbrille, und alle stöhnten auf.
De Jong grinste, brachte die Truppe zum Schweigen und sagte: »Mach’s kurz. Und auf Holländisch …«
Der Psycho-Mensch verzog sein Gesicht zu einem schmerzlichen Lächeln.
»Sie hatte keine wirklichen Kontakte auf der Insel – nur zu Bakker. Außer ihm hat sie niemanden gut genug kennengelernt, um ihm ein Motiv zu liefern.«
Schweigen.
»Mir ist etwas aufgefallen«, meldete sich eine Polizistin. »Die hat sich gar nicht wie eine Touristin verhalten, sondern viel eher wie eine Lehrerin auf Bildungsurlaub. Wer von den Gästen interessiert sich sonst so für die Vergangenheit?«
»Stimmt«, gab der Chef der Taktiker zu. »Aber dafür gibt es eine Erklärung: Ihr Vater gehörte zu den Moffen, die nach 1940 die Insel besetzt hielten. Das hat sie mindestens zweimal erzählt.«
»Kann man das überprüfen?«, fragte der Major den Oberwachtmeister. Hoekstra hob die Hände: »Kaum. Die Deutschen haben vor der Befreiung tagelang Papiere verbrannt. Wir müssten die Alten fragen. Manche Deutschen hatten Privatquartiere. Auch hier, im Albatros, haben welche gewohnt. Es gibt Fotos …«
De Jong winkte ab: »Schreiben Sie die Namen von Vlieländern auf, die vielleicht etwas wissen. Dann haben wir morgen keine Langeweile … Also: Was ist letzte Nacht passiert?«
Die Beamtin meldete sich wieder: »Bakker war es nicht. Was Gabriel«, sie deutete auf den Psychologen, »gesagt hat, ergibt doch Sinn: Es war ein Täter von auswärts, der aber gewusst haben muss, wo er sie findet. Vielleicht hat er sogar im Hotel darauf gelauert, dass Bakker wieder verschwand …«
»Hotel ist unwahrscheinlich. Auf dem Hof!«
»Hast recht. – Also: Als Bakker die Feuertür aufließ, konnte der Täter problemlos hinein. Er hat geklopft, die Ruth Michalski hat ihn für Bakker gehalten und geöffnet. Er hat sofort zugepackt, damit sie nicht schreien konnte, und sie erwürgt. Dann hat er alles durchwühlt und ist gegangen. Nachts war er im Wald, morgens fuhr er mit dem ersten Schiff ab …«
»Und warum hat er alles durchwühlt?«
»Klauen wollte er nicht: Der Schmuck ist noch da, die Uhr auch …«
»Er hat etwas anderes gesucht, von dem er vermutete, dass sie es hatte …«
Alle schwiegen und dachten nach.
»Wenn es so war«, sagte de Jong schließlich, »dann war der Täter wohl ein Deutscher. Dann geht es um etwas, das bei ihr zu Hause passiert ist.«
»Aber: Wo hat er stundenlang gewartet, bis Bakker wieder ging? Wo hat er übernachtet?
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