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Das Ekel von Datteln

Das Ekel von Datteln

Titel: Das Ekel von Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo P. Reinhard; Ard Junge
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blonden Stoppeln hindurch, die sein Gesicht bedeckten, ausgiebig das Kinn. Aber je länger er darüber nachdachte, desto absurder erschien ihm de Jongs Vermutung.
    »Das ist mir zu konstruiert, Major … Aber selbst dann, wenn die Frau sich wirklich so verhalten hätte – Gerrit hätte mit den Achseln gezuckt und wäre nach Hause gegangen. Und heute Abend wieder in die Stoep. Ein paar von den Zeltplatzmädchen sind ja noch da.«
    Er zündete sich jetzt doch einen Zigarillo an. Ein leichtes Schwindelgefühl machte sich bemerkbar: Den letzten hatte er vor einer Woche geraucht, nachdem er den Brandstifter in Harlingen abgeliefert hatte.
    »Ich habe doch heute Morgen mit ihm geredet«, fing Hoekstra wieder an. »Eine Stunde, bevor sich der Mord herumgesprochen hatte. Wir haben noch über seine Amouren gewitzelt. Mal angenommen, er hätte sie wirklich erwürgt – halten Sie ihn für so kaltblütig, am Morgen nach der Tat über seine harten Nächte Witze zu reißen?«
    De Jong antwortete nicht. Sein Zeigefinger tippte mehrmals auf den Stiel eines Kaffeelöffels, der neben seiner Tasse lag, und ließ die Kelle wippen.
    »Und noch etwas. Kein schlüssiger Beweis, aber ein Umstand, der zu allem anderen kommt: Die Frau hatte ihr Kostüm sorgfältig über den Sessel gelegt. Wann? Nachdem er sie ausgezogen hatte? Bevor er ging? Oder eher danach, als er weg war? Und bevor der Mörder anklopfte …«
    De Jong schwieg. Hoekstra wich seinem Blick nicht aus, sondern beobachtete aufmerksam eine allmähliche Wandlung auf seinem Gesicht. Falls der Major gehofft hatte, den Fall ganz bequem im ersten Zugriff lösen zu können – dann begannen seine Träume gerade zu entschwinden.
    Der Major stand auf, trat ans Fenster und starrte in den Rathausgarten. Ein Stück Rasen, eine braune Holzbaracke für zusätzliche Büros, noch ein paar Meter Wiese, der Deich, das Wattenmeer …
    Er holte tief Luft und atmete geräuschvoll wieder aus: »Vielleicht haben Sie recht.«
    »Kann ich gehen?«, fragte Hoekstra.
    »Ich komme mit …«
     
    Im Zimmer 235 war die Spurensicherung damit beschäftigt, alle halbwegs glatten und festen Flächen mit Ruß- und Aluminiumpulver einzustäuben. Die Beamten hatten an der Tür begonnen und arbeiteten sich im Uhrzeigersinn vorwärts. Ihnen folgten ein Mann und eine Frau, die Wandschrank, Schubladen, Koffer und Kleidungsstücke gründlich filzten.
    Ein anderer Trupp von Technikern hatte soeben die Nasszelle verlassen und widmete sich der Glastür am Ende des Flurs und dem Handlauf der Feuertreppe, während zwei weitere den Hof und die Unterstellmöglichkeiten am Middenweg absuchten: Falls ein anderer als Bakker der Täter war, musste er im Hotel oder auf der Rückseite gewartet haben, bis der Weg zu Ruth Michalski frei war.
    Die Frage, wie es aussah, unterdrückte de Jong: Wenn einer etwas fand, würde er sich melden. Sicher war nur, dass die Zimmermädchen eine Menge Arbeit hatten, wenn die Polizei die Räume freigab.
    Den Mediziner fand der Major im Frühstücksraum an jenem Tisch, der für die einsame Bewohnerin von 235 reserviert gewesen war. Bei einer Tasse Kaffee füllte er ein Notizbuch mit Zeichen, die genausogut aus dem Persischen stammen konnten. Als er de Jong sah, hob er beide Hände.
    »Ich weiß gar nichts«, sagte er. »Nur, dass Sie mir sagen werden, dass der Zeitpunkt des Todes noch nie so wichtig war wie in diesem Fall. Stimmt’s?«
    Der Major grinste.
    »Zum Glück weiß Dijkstra wenigstens, wann sie zum letzten Mal etwas gegessen hat und was. Das wird uns bei der Obduktion sehr helfen …«
    »Kommen Sie! Ich brauche die Zeitangabe jetzt und nicht in einem halben Jahr …«
    »Zwischen neun und drei letzte Nacht. Vielleicht.«
    »Dürftig«, meinte de Jong. »Das weiß der Barkeeper in der Stoep besser. Um zehn hat sie nämlich noch gelebt. Und zwar sehr …«
    »In Sexbierum gibt es eine Kartenlegerin«, meinte der Doc. »Die weiß alles auf die Sekunde genau – ehe es passiert. Vielleicht versuchen Sie es da mal?«
    »Schon gut. Erwürgt?«
    »Sieht so aus.«
    Der Major gab es auf. Vor der Obduktion würde dieser Mensch nicht einmal zugeben, dass Ruth Michalski wirklich tot war.

12
     
     
    Im großen Festzelt tobte sich der deutsche Frohsinn aus.
    Punkt acht legte die Bundeswehr-Combo mit einem Rheinlied los, und über tausend brave Bürger sangen mit. Zwanzig Minuten später hatten sich die Leute warm geschunkelt. Die erste Polonaise ging ab, erst durch die Reihen, dann rund ums Zelt.

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