Das Ekel von Datteln
Männerhände gierten nach halb nackten Schultern, die angegrapschten Weiber quietschten, und alle zusammen schrien nach irgendeiner Adelheid, die ihnen partout keinen Gartenzwerg schenken wollte. Ein Nebel aus Parfüms und Aftershaves wirbelte auf – das Zelt stank wie eine Drogerie.
Das PEGASUS-Team hatte den Lada am Hintereingang abgestellt. Während Mager im Freien sein verschwitztes Hemd wechselte, starrte er neidvoll auf den riesigen Wohnwagen, den man für den Star des Abends bereitgestellt hatte. Der Herr Künstler hatte da drinnen sicher fließendes Wasser und musste sich die Achselhöhlen nicht mühsam mit einem Dutzend Erfrischungstücher säubern.
Während Susanne ihr Make-up auffrischte, überlegte Mager, ob er ihr den Deal mit der Aufnahme beichten sollte. Nach der Rückkehr in die Stadt hatte er die Chefin am Neumarkt abgesetzt und wieder ins Café geschickt, während er allein zum Tanken und Waschen gefahren war. Dort hatte Karin bereits auf die Kassette gewartet, halb erstickt an ihrer Wut …
Mager verwarf den Gedanken. Erstens hatte er doch seine Zweifel, ob sie seine Idee auch so gut fand wie er. Und zweitens war es noch gar nicht sicher, ob Saale, diese Flasche, die Kassette überhaupt verkauft hatte.
Als sie fertig waren, riskierte er einen Blick in das verräucherte Zelt und stöhnte auf: Privat hätten ihn keine zehn Gäule dort hineingebracht. An den Zapfstellen drängten sich die Bedienungen, um volle Gläser abzuholen, an den langen Tischreihen wurde gequasselt, geschunkelt und gesoffen, und vor der Bühne mühten sich rund zweihundert Leute, den Brauttanz der Krickenten nachzuahmen.
Flöz Sonnenschein morgens um fünf, dachte Mager. Die sind ja alle bescheuert …
Den größten Teil ihrer Arbeit erledigten sie rasch und routiniert: ein paar Aufnahmen von den unvermeidlichen Festreden; das Publikum, zwei, drei Tanzszenen, einen Blick auf die Kapelle und einen in das Dekolleté der Sängerin. Dann warteten sie auf den Superstar des Abends, dessen Lieder nach Schätzung des Dicken bombig ankommen würden.
Die Pause aber war Magers Stunde. Wie ein Riesenheuschreck fraß er sich an Pommesbuden und Wurstständen entlang, eingedeckt mit den Gutscheinen, die ihm die Organisatoren im Rathaus zugesteckt hatten. Aufträge ohne Deckung des Verpflegungsbedarfs hatten auf seinem Schreibtisch keine Chance.
An der Sektbar in einer Ecke des Festzelts trafen sie Roggenkemper. Neben ihm lehnte, eins fünfundachtzig lang, in schwarzer Jacke und blauen Jeans, der nette Mensch, der Mager beinahe platt gefahren hätte. Der Ortsfürst winkte sie heran und stellte sie vor: »Uwe, dieses Mädchen ist der lebende Beweis – es gibt noch charmante Frauen mit Köpfchen …«
Der Mann musterte sie und streckte ihr die Hand entgegen.
»Frau Ledig«, erläuterte Durchlaucht, »das ist der gefährlichste Mann im Landkreis Recklinghausen: Uwe Gellermann, Prokurist bei Puth und Fraktionschef in der Partei. Wenn er nicht gerade seine Firma in den Ruin treibt oder an meinem Stuhl sägt, dann tröstet er irgendwelche Witwen …«
»Solche Leute muss es auch geben«, erwiderte Susanne. »Schade, dass ich keine Witwe bin …«
»Glauben Sie ihm kein einziges Wort«, empfahl Gellermann und ließ sich zu einem vollendeten Handkuss hinreißen. Seine braunen Augen lächelten Susanne an. »In Wahrheit wären Puth und Roggenkemper ohne mich schon Dauerkunden im Sozialamt …«
Per Fingerschnippen orderte der Prokurist eine neue Flasche Schampus. Er goss ein und drückte auch Mager ein Gläschen in die Hand: »Beim nächsten Mal ziele ich besser!«
»Ich überlebe alles«, strunzte Mager. »Aber Sie haben Totalschaden …«
Doch Gellermann hatte kein Auge mehr für ihn, sondern ging an Susannes Sonnenseite vor Anker. Offenbar stand er nicht nur auf Witwen.
»Journalistin sind Sie?«, fragte er.
»Gewesen. Jetzt bin ich eher so etwas Ähnliches wie eine Medienkauffrau und Videoproduzentin. PEGASUS spezialisiert sich mehr und mehr auf professionelle Product-Promotion …«
Mager grinste still: Einwickeln gehörte zu Susannes Stärken.
»PEGASUS – ein schöner Name. War das nicht das geflügelte Ross des Zeus?«, kramte der Prokurist in seinem Schatzkästlein humanistischer Bildung.
Susanne nickte. Ihr Lächeln brannte zwei tiefe Löcher in seine Augen: »Und in der Romantik das Symbol der Dichter …«
Weiber, dachte Mager.
Doch bevor es zu irgendwelchen Weiterungen kommen konnte, mischte sich Roggenkemper
Weitere Kostenlose Bücher