Das Elbmonster (German Edition)
war, bemerkte ich eine leise Sympathie gegenüber Abel, den ich vordem nicht kannte.
Trotz der widerwärtigen Bedingungen führten wir vielerlei Gespräche miteinander. Und so wuchs zwischen uns allmählich das zarte Pflänzchen echter Zuneigung, welches wir im anschließenden Wartelager sorgsam pflegten, damit es prächtig gedeihe, denn in uns keimte bereits zusehends die vage Hoffnung, es könne sich vielleicht allmählich zum kräftigen Baum als Symbol tiefer Freundschaft entwickeln.
Genau so kam es dann auch, wenngleich eine schier unglaubliche Tragödie, die wir damals im Alter von elfeinhalb Jahren gemeinsam in Pirna erlebten, unseren nachfolgenden Werdegang ebenso sprunghaft wie einschneidend beeinflusste.
Jener grauenvolle Zwischenfall war besonders für Abel ein derart harter Schicksalsschlag, dass er sich buchstäblich für immer in seiner arg verletzten Seele einbrannte. Seither plagen ihn unentwegt dahingehend Gewissensqualen, ob denn das schreckliche Ereignis gegebenenfalls durch mehr Besonnenheit und beherzterem Auftreten seinerseits hätte verhindert werden können. Diesen nervenaufreibenden Bazillus wird er zeitlebens nicht mehr los.
Obendrein wurde in ihm durch dieselbe verhängnisvolle Episode urplötzlich etwas ausgelöst, das nicht nur ihn, sondern auch mich wie vom Blitz getroffen auf der Stelle erstarren ließ, eine mysteriöse Kraft, die ich nach wie vor kaum zu beschreiben wage, geschweige denn umfassend erklären könnte.
Der Mensch ist ja so eine Art biochemische Fabrik, freilich eine hochmoderne, weil mit Gefühl und Verstand ausgestattet. Sobald ein Teil nicht mehr richtig funktioniert, gerät bisweilen das ganze System durcheinander. Handelt es sich dabei ausschließlich um einen körperlichen Defekt, sind die jeweils zuständigen Fachleute oftmals in der Lage, die genaue Ursache herauszufinden, um sie gezielt zu beheben oder hinsichtlich ihrer negativen Folgen wenigstens zu lindern. Wenn jedoch die gesamte Psyche erfasst wird, etwa durch ein unangenehmes Schockerlebnis, welches jählings eine hochgradige seelische (mitunter auch physische) Erschütterung in uns auszulösen vermag, kann es für die Lebensperspektive des Betroffenen sehr problematisch werden, sofern nicht rechtzeitig eine geeignete Therapie erfolgt. An eine solch medizinische Hilfe für Abel war damals überhaupt nicht zu denken. Er hatte weit und breit nicht die geringste Chance, entsprechend betreut zu werden.
Doch ehe ich detaillierter auf die grenzenlos fatale Begebenheit eingehe, um eine bedeutsame Grundlage für das Verständnis all dessen zu schaffen, was uns an nahezu Unfassbarem noch bevorsteht, will ich meinen verehrten Lesern zunächst eine Reihe persönlicher Erlebnisse und Gedanken anvertrauen, die in bestimmter Weise zum Thema gehören. Es fällt mir ohnehin schwer genug, das Kernproblem der Geschichte treffend und vor allem glaubwürdig zu übermitteln, weil es im europäischen Raum und anscheinend sogar weltweit bisher tatsächlich nichts Gleichartiges gibt, wie sämtliche Recherchen erneut bestätigt haben, die ich eigens wegen dieser autobiografisch untersetzten (Kriminal-)Erzählung in jüngster Zeit außerordentlich intensiv geführt habe.
Apropos Internet: Dank mehrmaliger und gleichermaßen drängender Aufforderungen durch meine liebe Frau habe ich mir nun endlich einen Personalcomputer angeschafft. Und ich gestehe leicht beschämt: Das hätte ich schon viel früher tun sollen! Obwohl er mich vorläufig mehr beherrscht als ich ihn, ist er mir dennoch bereits eine enorme Hilfe (wobei mich meine Enkel gerne unterstützen, zumal sie diesbezüglich schon viel mehr draufhaben als ich jemals erreichen werde).
Manchmal gebärde ich mich offenbar wie ein störrischer alter Esel. Vielleicht bin ich zuweilen auch einer. Na und? Ich kann mich trotzdem ganz gut leiden, ohne deshalb gleich ein Narzisst zu sein, jemand, der zunächst sein Spiegelbild anhimmelt und schließlich nur noch sich selbst liebt. Nein, solcherart egozentrische Vergötterung gehört wirklich nicht zu meinem Naturell. Das überlasse ich gerne Leuten wie etwa dem Modezaren Karl Lagerfeld, der sich nach eigener Bekundung nur für sich und sein künstlerisches Abbild interessiert. Dergestalt extravagante Allüren entsprächen überhaupt nicht meinem Charakter.
Außerdem weiß man doch spätestens im fortgeschrittenen Alter, dass viele Dinge und Geschehnisse, die wir ab und zu für höchst bedeutsam halten, erst recht, wenn
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