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Das Elbmonster (German Edition)

Das Elbmonster (German Edition)

Titel: Das Elbmonster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerner, Károly
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schlichtweg unredlich, selbst wenn man sich dabei noch so heftig auf die Freiheit des Geistes beruft.
     
    Doch blicken wir nochmals kurz auf 1936 zurück!
    Zweifellos gab es auch zu jener Zeit viele ehrbare Persönlichkeiten, darunter den pazifistischen Publizisten Carl von Ossietzky (1889 bis 1938), der im selben Jahr den Friedensnobelpreis nachträglich für 1935 zugesprochen bekam. Er konnte die hohe Auszeichnung als typischer KZ-Häftling „wegen Landesverrats“ freilich nicht eigenhändig entgegennehmen. Das haben ihm die regierenden Nationalsozialisten strikt verwehrt. Wohin ihre Wahnsinnsideologie letztlich führte, dürfte jedem ausreichend bekannt sein, der sich halbwegs dafür interessiert.
    Sonach könnte die Erkenntnis reifen, dass ausnahmslos jedes gesellschaftliche System die ihm genehmen Herrscher, Befürworter, Mitläufer und Speichellecker, doch auch fortwährend seine Widersacher hervorbringt.
     
     
    Das Land der Magyaren, unsere einstige Heimat, ward hingegen bereits seit 1920 vom Horthy-Regime beherrscht. Die Bezeichnung verweist auf jenen rechtsradikalen Reichsverweser, welcher sich 1941 beim Überfall auf die Sowjetunion der verheerenden Torheit Hitlers anschloss und schließlich mit seiner diktatorischen Regierungsform endete, wie es gerechterweise früher oder später allen militärisch gedrillten, auf Aggression gerichteten und obendrein vom Größenwahn befallenen Staatsgebilden widerfahren sollte, nämlich mit einer bedingungslosen Kapitulation.
    Damit war auch ein beträchtlicher Abschnitt unseres künftigen Lebens weitgehend besiegelt, denn wir mussten Ungarn verlassen, wurden als Bürger mit ursprünglich deutscher Herkunft gewaltsam ausgewiesen.
     
    Unsere Vorfahren kamen einst aus Schwaben und machten sich wohl schon zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts auf dem Balkan sesshaft (was ich allerdings für meine konkrete Ahnenreihe vorerst nur bis zum Jahre 1795 nachweisen könnte).
    Die Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen erfolgte indessen bereits im zwölften und dreizehnten Jahrhundert. Sie wurde amtlich besonders gefördert, nachdem die eroberungs- und zerstörungssüchtigen Reiterheere der kriegslüsternen Mongolen während ihrer Raubzüge ganze Landstriche verwüsteten, indem sie zahlreiche Städte und Dörfer buchstäblich dem Erdboden gleichmachten. Zugleich löschten sie deren Bewohner fast vollständig aus, sofern es sich nicht um auffallend schöne Frauen, begabte Handwerker oder namhafte Künstler und Gelehrte handelte, die sie zwanghaft mitnahmen, damit sie ihnen fortan uneingeschränkt dienen konnten: die Evastöchter als begehrte Sexualobjekte und die anderen mit ihren speziellen Fertigkeiten und Kenntnissen. So geschehen im Gefilde der Magyaren anno 1241.
    Bemerkung: Das obige Wort „Sachsen“ ist kein Verweis auf die Herkunft der einstigen Kolonisten, sondern eine südosteuropäische Bezeichnung für deutsche Bergleute in Transsilvanien (jetzt rumänisch, ehedem Teil Ungarns). Jene Volksgruppe stammte höchstwahrscheinlich überwiegend aus Moselfranken.
     
    Unsere Zwangsverschickung ereignete sich Anfang Mai 1948. Sie war eine der vielen Deportationen. Warum gerade meine elterliche Familie überhaupt vertrieben worden ist und alle unsere Verwandten bleiben durften, vermag ich bis heute nicht eindeutig zu erklären, denn wir waren weder reich noch faschistoid. Und mit waghalsigen Vermutungen will ich gar nicht erst aufwarten. Offensichtlich herrschte auch in dieser Frage ziemliche Willkür.
    Aber Schwamm darüber! Ungarn ist ein herrliches Land mit ebenso tüchtigen wie freundlichen Menschen und darum garantiert jederzeit meines persönlichen Wohlwollens sicher. Ich verspüre zumindest keinerlei Missbehagen oder gar nachträgliche Rachegelüste für jene Schmach, welche dereinst meinen Eltern zugefügt wurde.
     
    Die für mich äußerst merkwürdige Beförderung in Richtung „Ostzone“ der besiegten Teutonen dauerte annähernd sechs Tage und endete in Pirna, einem interessanten Städtchen an der Elbe, etwas größer als Meißen und in entgegengesetzter Richtung von Dresden. Dort hatte man uns für drei Wochen gemeinsam mit vielen anderen Leuten, die vom gleichen Schicksal betroffen waren, in einem großen Sammellager untergebracht beziehungsweise kurzerhand eingepfercht.
     
    Schon während der ersten Stunden unserer seltsamen Beförderung in einem fest verschlossenen und daher furchtbar stinkenden Viehwaggon, zumal er mit „Umsiedlern“ berstend gefüllt

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