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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dieverse Autoren
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Alten treffen und mit ihm sprechen. Nichts entfremdet so wie Wunderlichkeit. Der Alte sieht mich erschrocken an. Meine Worte haben die unerschütterliche Logik der irdischen menschlichen Beziehungen verletzt.
     »Wer sind Sie?« fragt er. »Und woher kommen Sie?«
     Ich erwidere: »Wer wird so kühn sein und auf Ihre Frage eine Antwort geben? Wer sind wir? Woher? Damit befaßt sich die Philosophie.«
     »Ah«, sagt der Alte erfreut, »Sie sind Philosoph? Jetzt verstehe ich alles.«
     Er hat mich wiedergefunden und ich ihn. Und beide stehen wir froh und glücklich da.

    11

    Auf der Straße ruft eine Frauenstimme zu mir: »Nikolai!«
     Ich sehe mich um. Neben einem Ahornbaum steht dasselbe Mädchen, das mit mir telefoniert hat. Sie hatte mir ihren Namen genannt, und jetzt erinnere ich mich an ihn. »Vera«, sage ich unsicher und leise.
     Sie lächelt mir erfreut zu. »Na also, endlich hast du mich auch erkannt. Es war so seltsam und schrecklich, als du mich nicht mehr erkanntest. Erst dachte ich, du machtest Spaß. Aber der Klang deiner Stimme und dein Gesichtsausdruck sprachen dagegen. Ich war ganz verzweifelt und wußte nicht, was ich davon halten sollte. Aber jetzt sehe ich an deinen Augen, daß du mich erkannt hast. Die Verhexung ist vorbei. Wie bin ich froh…«
     »Ich freue mich auch«, sage ich leise.
     Dann denke ich: Sie irrt sich weiter und hält mich für irgendjemand anders. Lohnt es, sie vom Gegenteil zu überzeugen? Mag sie sich irren. Das hilft mir, die Trennungswand zu beseitigen und mich dem irdischen Leben zu nähern.
     »Hast du jetzt etwas vor?« fragt sie. »Ich möchte mit dir sprechen; wollen wir nicht den Abend zusammen verbringen?«
     Ich nehme ihren Arm, und wir gehen. Wir spazieren durch die Stadt. Wie immer gibt es nur wenig Fußgänger. Nur Verliebte gehen zu Fuß. Es fängt an zu regnen.
     »Erinnerst du dich, Nikolai«, fragt das Mädchen, »wie wir auf der Jelagin-Insel in einen Regenschauer gerieten? Es goß wie aus Eimern. Wir standen unter einem Baum. Erinnerst du dich?«
     »Ja, ich erinnere mich.«
     Ich erinnere mich natürlich nicht und kann mich ja auch gar nicht an etwas erinnern, was nicht mir, sondern einem anderen zugestoßen ist »Unlängst habe ich an den Tag des Schwarzen Meeres gedacht.«
     »An den Tag des Schwarzen Meeres?« frage ich erstaunt: »Warum?«
     »Seltsam!« sagt Vera vorwurfsvoll. »Weißt du auch das nicht mehr? Wir haben uns doch am Tag des Schwarzen Meeres in der Nähe von Feodossija kennengelernt. Der kleine Ort heißt Koktebel… Ich habe dort an einer Unterwasserexpedition teilgenommen. Und du wohntest auf der Sportstation und bist mit deiner Taucherausrüstung immer weit ins Meer hinausgeschwommen. Ist es nicht komisch, daß wir unser erstes Rendezvous in einer Tiefe von zwanzig Metern hatten? Über uns waren die Wellen, und ich werde niemals die Stille vergessen, die dort herrschte. Dann schwammen wir an die Oberfläche, und du fragtest mich, wie ich heiße. Ich sagte meinen Namen, und du sagtest deinen. Dann saßen wir am Ufer, am Fuße der Berge, erinnerst du dich?«
     »Ja, ich erinnere mich«, sage ich unsicher. Für den Bruch teil einer Sekunde scheint es mir, als ob ich mich wirklich an diese Episode erinnere.
     Aus der Stimme des Mädchens spüre ich Güte heraus und Seelengröße; mir ist, als schenke sie mir ihre eigene und eine fremde Vergangenheit, die mir nicht gehört und gar nicht gehören kann; ich bin nicht imstande, dieses außerordentliche Geschenk abzulehnen.
     »Weißt du noch, du hast mir Strophen von einem alten Dichter vorgetragen. Mir sind sie gerade eingefallen, und wenn du sie vergessen haben solltest, will ich sie dir ins Gedächtnis zurückrufen.«
     »Sprich«, fordere ich sie auf.

    »…Nicht ich, und nicht er, und nicht du, so wie ich, aber doch nicht so: So waren einander wir ähnlich, und unser Wesen vereinte sich.«

    »Laß«, unterbreche ich Vera, »es lohnt nicht, weiterzusprechen.«
     »Warum nicht, Lieber? Damals hast du diese Zeilen oft zitiert.«
     »Aber jetzt mag ich nicht. Überhaupt wundere ich mich, daß da jemand, der lange vor mir gelebt hat, über mich geschrieben hat.«
     »Aber nein, das hat doch niemand über dich geschrieben. Du bist einmalig. Und nur dir selbst ähnlich. Ich habe dich lange gesucht, aber du warst ja verschwunden. Und niemand wußte, wo du warst. Alle deine Bekannten und Freunde hatten dich aus den Augen verloren. Ich dachte, du seist auf den Mars oder auf

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