2946 - Deborah - verzweifelt gesucht
Marjorie Bradshaws Blick glitt über den festlich hergerichteten großen Bankettsaal des Hotels New Claridge . Jeder Platz des sündhaft teuren Spendengaladinners war besetzt. Innerlich atmete sie auf. Es war wichtig, dass die gehobene Gesellschaft sich heute hier, in diesem Luxushotel nahe dem Times Square, versammelt hatte – zeigte das zahlreiche Erscheinen doch, dass sie immer noch die unangefochtene Nummer eins der Charity-Ladys war und ihr niemand diesen Platz streitig machen konnte.
Es hatte Versuche gegeben. Andere, ebenso einflussreiche Damen der Gesellschaft hatten sich dabei mehr oder weniger offen gegen Marjorie gestellt. Ihr unterstellt, sie nutze die Veranstaltungen nur noch für die eigene Publicity und zur Werbung für die Geschäfte ihres Gatten Timothy.
Spätestens mit der heutigen Veranstaltung war es ihr gelungen, die niederträchtigen Stimmen zum Verstummen zu bringen. Einige ihrer Rivalinnen saßen an diesem Abend sogar hier und hatten die Veranstaltung mit zuckersüßen Worten gelobt.
»Wie viel haben wir bis jetzt eingenommen?«, fragte sie ihre persönliche Assistentin, die wie ein Schatten neben ihr stand. Lauren hob ihr Smartphone, tippte etwas an und zeigte Marjorie das Ergebnis.
»Donnerwetter«, entfuhr es der. »Die Gäste des heutigen Abends sind ja ganz besonders spendabel.«
Der Eintrittspreis für das Dinner war ein nach oben offener Mindestpreis, den die meisten der Gäste großzügig aufgerundet hatten. Dazu kam der Erlös aus dem Losverkauf. Der Hauptgewinn, ein Ferrari, war dabei ebenso eine Spende wie jeder andere der hundert Preise.
»Und wir sind noch nicht am Ende angelangt.« Lauren blickte kurz auf ihre schmale, teure Uhr. »Zumindest noch nicht ganz. Eine halbe Stunde noch bis Mitternacht.«
»Dann sollten wir alles dafür tun, die restlichen Lose unters Volk zu bringen.« Marjorie schnappte sich zwei Champagnerkübel und gab einen davon an Lauren weiter. »Haben Sie meine Tochter gesehen?«, murmelte sie dabei.
»Nicht in der letzten Stunde«, antwortete die Assistentin und eilte davon.
***
Marjorie Bradshaw versuchte zum wiederholten Mal, ihre Tochter Deborah zu erreichen. Wozu hatte das Kind eigentlich ein Mobiltelefon, wenn sie dann doch nicht erreichbar war? Eigentlich hätte sie noch hier sein sollen, um ihr, Lauren und einigen anderen Frauen beim Losverkauf zu helfen. Inzwischen war Mitternacht vorbei. Die Kellner schenkten die letzten Drinks aus und die Atmosphäre war von Aufbruch geprägt. Marjorie lächelte automatisch, als sie einen bekannten Footballspieler mit seiner neuesten Ehefrau auf sie zukommen sah.
»Ein wundervoller Abend, Marjorie«, sagte die Blondine, deren Namen sie sich vermutlich nicht merken musste.
»Ganz exzellent, wie immer«, fügte der Sportler hinzu und versicherte, auch im nächsten Jahr wieder dabei zu sein. Vermutlich mit einer anderen Dame am Arm, nach allem, was Marjorie von ihm wusste.
Nun ging es Schlag auf Schlag, als Gastgeberin musste sie ausharren, bis sich alle Spenderinnen und Spender des Abends verabschiedet hatten. Alle, bis auf den harten Kern. Diese Gruppe aus reichen Ostküstenleuten verschwand nun in Richtung der Bar, man würde dort weitertrinken, sich die Anekdoten des Sommers erzählen, das eine oder andere Geschäft einfädeln oder sich die Namen der angesagten Schönheitschirurgen ins Ohr flüstern.
Marjorie seufzte innerlich auf. Sie hätte es sich nach diesem harten Tag verdient, jetzt ebenfalls auf einen Absacker mit dieser illustren Gruppe zusammenzusitzen. Aber es gab zwei Dinge, die sie davon abhielten: die Abwesenheit ihres Gatten Timothy, der sich bereits früh am Abend unter dem Vorwand, noch eine geschäftliche Besprechung zu haben, davongemacht hatte, und die Frage, wo genau sich ihre Tochter aufhielt.
Aus diesem Grund schlug sie, nachdem sie sich auch von Lauren verabschiedet hatte, den Weg zu ihrer ständigen Suite im Penthouse des Hotels ein. Die Familie Bradshaw hatte ihren Familiensitz in Philadelphia, hielt sich aber im Laufe des Jahres so häufig in New York auf, dass sie sich dieses Apartment im New Claridge als ständige Einrichtung leistete.
Als Marjorie die Tür zum Apartment aufschloss, hörte sie als Erstes leise Musik, fetter Jazz schwebte durch die Luft. Verwundert blieb sie stehen. Deborahs Geschmack war das eindeutig nicht. Die Tür, die zum Zimmer ihrer Tochter führte, war geschlossen.
»Deborah?« Marjorie ging auf die Tür zu, blieb nach ein paar Schritten stehen.
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