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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dieverse Autoren
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Hirngespinst?
     Das Telefon klingelt.
     »Ja, bitte«, sage ich, nachdem ich den Hörer abgenommen habe.
     Eine weibliche Stimme, die mir jetzt schön bekannt ist, fragt zärtlich: »Erkennst du mich?«
     »Ja, jetzt erkenne ich dich. Vera?«
     »Ja, Vera. Hast du gerade etwas zu tun?«
     »Nein, ich habe Zeit.«
     »Willst du nicht zu mir kommen?«
     »Wann?«
     »Wann es dir recht ist, mein Lieber. Ich warte auf dich… Oder nein, wir treffen uns lieber im Foyer des Hotels. Ich komme zu dir.«
     Ich stehe neben dem Zeitungsstand und warte. Sie muß jede Minute kommen. Wenn ich ihr heute sagte, daß ich nicht der sei, für den sie mich hält? Nein, dieses unangenehme Gespräch muß ich noch hinausschieben. Ich möchte so gern mit ihr zusammen sein. Wieder wird sie mich an Vergangenes erinnern, an das, was sie selbst erlebt hat, und denjenigen, für den sie mich hält. Ich werde so tun, als ob auch ich mich an diese Vergangenheit erinnere.
     Sie kommt schnell und leichtfüßig herein, so wie immer. Auf ihrem geröteten Gesicht strahlt ein gütiges Lächeln. Sie hat mich bereits gesehen und winkt mir zu.
     »Bist du schon hier?« fragt sie.
     »Nein, ich bin nicht hier«, scherze ich, »sondern jener andere, der dich nicht erkannt hat.«
     »Nein, das bist du«, sagt sie leise, »du…« Irgendwie spricht sie das Wort »du« ganz besonders aus, verwundert und freudig, so als entdecke sie in mir jenen anderen, dessen Äußeres ich ohne mein Wissen angenommen habe.
     Arm in Arm verlassen wir das Hotel. Wir sind sogleich allein. Niemand beachtet uns.
     »Möchtest du ein bißchen tanzen?« fragt Vera. »Dann laß uns hier hineingehen.«
     Sie zeigt auf den Tanzklub, durch dessen gläserne Wände man tanzende Paare erblickt.
     Wir gehen hinein. Musik. Irdische, das Bewußtsein berauschende Musik. Ich habe mich lange nicht an sie gewöhnen können. Im XVIII. Jahrhundert gab es klarere und langsamere Melodien. Damals tanzte man Menuett und spielte Mozart, von dem jemand gesagt hat, er habe seine Musik nicht für Menschen, sondern für Engel komponiert. Ich bin kein Engel. Aber an die Mozartsche Musik konnte ich mich bedeutend leichter gewöhnen als an die heutigen Komponisten.
     Vera und ich beginnen zu tanzen. Bei mir geht es nicht gerade gut. Aber sie lächelt und nickt mir aufmunternd zu. »Macht nichts, Lieber. Früher hast du zwar bedeutend besser getanzt. Aber die anderthalb Jahre im Weltall auf einer winzigen kosmischen Station muß man schon mit in Rechnung stellen. Dort hat es schließlich keinen Tanz gegeben.«
     »Aber woher weißt du, daß ich auf einer kosmischen Station war? Habe ich etwa davon gesprochen?«
     »Nein, das hast du nicht. Aber ich habe es auch so erraten.«
     »Wie scharfsinnig du bist!«
     »Lache nicht, Lieber. Daß du diese anderthalb Jahre nicht auf der Erde gelebt hast, errät jeder, der mit dir spricht. Du hast dich so sehr verändert. Du hast etwas Neues, Unbekanntes an dir, das ich vor unserer Trennung nicht bemerkt habe.«
     »Was meinst du damit?«
     »Diese Zerstreutheit. Manchmal kommt es mir so vor, als befinde sich lediglich deine Hülle hier, du selbst aber seist Millionen Kilometer weit entfernt von hier. Dann wird mir ganz schrecklich zumute, schrecklicher noch als damals, als du mich nicht erkennen wolltest.«
     »Reden wir lieber über etwas anderes.«
     »Worüber denn?«
     Sie hat diese Frage kaum gestellt, als sie schon an etwas ganz anderes denkt.
     »Verzeih, Lieber«, sagt sie, »ich komme sofort zurück. Eine Minute.«
     Sie geht weg. Ich sehe mich um. Sie tritt an einen hochgewachsenen Mann heran. Offenbar ist das ein alter Bekannter von ihr. Dann ruft sie mich. »Nikolai!«
     Ich gehe zu ihr. Ein größer oder, besser, groß scheinender Mann lächelt mir zu und streckt mir die Hand entgegen. Ich nenne meinen Namen und sage deutlich: »Nikolai…«
     »Kolja«, verbessert er mich. Das ist so seltsam und erweckt den Anschein, als kenne er mich schon seit langem.
     Er schaut mich interessiert an. Nein, Unbekannte blicken nicht so. Dann verbeugt er sich und geht fort.
     »Wer war das?« frage ich Vera.
     Bevor sie antwortet, sieht sie mich verwundert an. »Solltest du ihn wirklich in diesen anderthalb Jahren vergessen haben? Das ist der Physiologe und Kybernetiker Iwanzew, Sergej Andrejewitsch Iwanzew, dein guter Bekannter: Du selbst hast mir doch oft gesagt, daß es solche Menschen wie Sergej nur einmal in zwei Jahrhunderten gibt. Und

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