Das elektronische Glück
gesagt!«
»Sie sprechen so überzeugt«, antwortete ich, »als ob Sie an unserem Gespräch teilgenommen hätten.«
Der Professor sah mich völlig verständnislos an. »Erlauben Sie mal, wie sollte er mit Ihnen gesprochen haben? Sind Sie noch bei Sinnen?«
Ich schwieg, obwohl ich leicht hätte beweisen können, daß ich Kant begegnet war. Die Zeit dazu war noch nicht gekommen. Das war alles.
»Entschuldigen Sie«, murmelte ich, »ich habe mich versprochen.«
»Das kommt vor«, sagte der Professor und nickte herablassend.
Die Ferne und das Blau! Nur durch die Fenster des Hotels sieht die Erde so zahm und friedlich aus. Dazu die Gipfel der Bäume. Und die Wolken! Aber dort, wo weder Bäume noch Wolken sind, im unendlichen Vakuum des Weltalls, dort ist eine ganz andere Ferne. Und auch sie lebt in meinem Bewußtsein.
Ich sitze am Schreibtisch und lese die Erzählungen von Tschechow. Tschechow ist interessant, er zieht mich an und stößt mich gleichzeitig ab. In den Menschen und Ereignissen, die er schildert, gibt es etwas, was ich nicht verstehe. Das Leben bei ihm gleicht einem Labyrinth, worin die Menschen umherirren; sie suchen keinen Ausweg, sondern etwas noch Verworreneres als ein Labyrinth. War das Leben gegen Ausgang des XIX. Jahrhunderts wirklich so?
Jemand klopft an die Tür.
»Herein«, rufe ich.
Einige Studenten aus meinem Studienjahr kommen herein.
»Kolja!« rufen sie im Chor. »Los, mach dich fertig, komm mit!«
»Wohin?«
»Hast du das vergessen? Komischer Kauz! Heute spielt ›Spartak‹ gegen Guinea. Na, mach schon! Sonst kommen wir zu spät.«
3
Seit es keine Grenzen mehr auf Erden gibt, gibt es auch keine Personalausweise mehr, die über Geburtsdatum und Geburtsort etwas aussagen.
Die ganze Menschheit ist eine große Familie, und niemand trägt ein Papierchen mit Stempeln bei sich.
Ich trage in meiner Tasche einen Gegenstand kleineren Ausmaßes, der besser als jegliches Dokument bezeugen könnte, daß ich nicht auf der Erde geboren bin. Es ist eine kluge, logische Maschine, ein linguistischer Apparat, geeignet, mich augenblicklich mit jedem beliebigen Erdendialekt, mit jeder beliebigen Art, zu denken und zu sprechen, vertraut zu machen.
Doch diesen Gegenstand zeige ich niemandem, obwohl es mich manchmal lockt, der beflissenen Alten, unserer Englischlehrerin, zu sagen: »Sehen Sie, mein Wörterbuch: Ja, das ist ein Wörterbuch! Es übersetzt selbständig aus jeder beliebigen Sprache.«
Aber ich schweige, ich schweige und lächle. Es ist zu komisch, besonders wenn mich die Lehrerin für meine Erfolge lobt.
»Larionow«, sagt sie, »hat seinen Aufsatz ohne einen einzigen Fehler geschrieben.«
Ich grinse. Und mit der Hand berühre ich den linguistischen Apparat, der in der Seitentasche meines Jacketts steckt. Die menschliche Technik wird so etwas frühestens in fünfhundert Jahren zu konstruieren imstande sein, vorausgesetzt natürlich, daß ich mein Geheimnis nicht enthülle. Was wird unsere »Engländerin« wohl an dem Tage sagen, an dem ihr Beruf für überflüssig erklärt wird?
Ich habe mir einen fremden Namen zugelegt, als ich mich Nikolai Larionow nannte. Aber das habe ich nicht jetzt getan, sondern vor mehr als zweihundert Jähren in Königsberg, als ich zu Immanuel Kant ging. Damals passierte mir das Mißgeschick, daß ich plötzlich meinen Namen vergaß, nicht den richtigen natürlich, sondern den, den ich hier auf Erden trug. Kant achtete jedoch nicht auf meine Verwirrung. Er war zu sehr in unser Gespräch vertieft, ging es doch um Raum und Zeit und um den Himmel über uns, als dessen Abgesandten ich mich ausgegeben hatte.
Manchmal kann ich nachts nicht schlafen, dann blicke ich in den Sternenhimmel. Meine Heimat, die liebe Dilnea, befindet sich irgendwo zwischen den zahllosen Sternen; ich suche sie, obwohl ich weiß, daß sie nicht zu finden ist. Sie ist weit, so weit entfernt, daß man es sich nur schwer vorzustellen vermag.
Ist es nicht verwunderlich, daß die Erde einen Doppelgänger hat, einen Planeten, der ihr so ähnlich ist, daß es scheint, als habe der unendliche Raum zwei Zwillingsschwestern getrennt und eine kalte Entfremdung zwischen sie gelegt? Immer wenn ich traurig werde, nehme ich das Klümpchen Materie, und es unterhält sich mit mir. Dann kommt es mir so vor, als befinde sich die Dilnea, meine ferne Heimat, in diesem Klümpchen empfindlicher Materie.
4
Das Telefon klingelt.
»Ja, bitte.«
Abermals
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