Das Elfenlicht von Arwarah (German Edition)
„Wenn ihr mir helft, dann gelingt es schneller!“, sagte sie. „Nicht sprechen, nur schauen. Bitte fasst euch an den Händen! Und jetzt denkt, so fest ihr könnt, an Lindriel, Alarion und Emetiel. Lasst sie vor eurem inneren Auge aufsteigen und lebendig werden!“
Mit der Schale in der Hand umkreiste Tibana den Brunnen, wobei sie die Augen schloss und eine leise monotone Melodie summte. Es schien, als ob alle anderen Geräusche ringsum verstummten. Die Luft knisterte förmlich und ein magischer Hauch streifte die Gesichter der Freunde. Ehrfürchtig tauchte Tibana die Schale ins Wasser und füllte sie bis zum Rand. Dann malte sie mit der Hand ein Elfensymbol darüber.
Die Wasseroberfläche erzitterte wie unter einer Berührung und als sie sich wieder glättete, sahen die Kinder das leuchtende Gesicht eines fremden Elfen. Die Züge waren schön, aber augenblicklich von Müdigkeit und erlittener Qual gekennzeichnet. Sein Haar war wirr, seine Kleidung schmutzig und blutverkrustet. Er wurde beim Laufen von zwei starken Männern gestützt, die ihn über eine steile, alte Treppe ans Tageslicht führten. Das warme Licht der aufgehenden Sonne streifte die Männer und unter dem lauten Jubel der umherstehenden Gefolgsleute wendete ihr der befreite Elf sein Antlitz zu. Da erkannten die Freunde, dass es Lindriel und Alarion waren, die ihren König gestützt hielten.
Ringsumher sah es wüst aus. Überall lagen Waffen, umgestürzte Gegenstände und Tote, die man respektvoll zur Seite getragen hatte. Da ertönte ein scharfer Pfiff über den Köpfen der Männer und alle Blicke wandten sich nach oben. Es war der tollkühne Emetiel, der von den Zinnen aus zu ihnen herab winkte. Zum Zeichen ihres Sieges über die Dunkelelfen der Burg hatte er König Arindals Flagge mit dem Zeichen des Drachen gehisst.
Die heimlichen Zuschauer wollten gerade in Jubel ausbrechen, als das Wasser in der Schale von Neuem erzitterte und urplötzlich Farzanahs wutverzerrtes Gesicht darin erschien.
„Du bist das! Hüterin der Quelle, ich erkenne dich und deine Werke. Diesmal bist du zu weit gegangen! Was kümmern mich Arindal und seine Handvoll Männer? Wenn ich das Licht wieder habe, werde ich sie mit einer einzigen Handbewegung vernichten. Du und deine Freunde, ihr seid jetzt meine wahren Gegner! Fürchtet meinen Hass! Der Zauber lebt, und ich werde ihn mir wiederholen!“
Das Wasser in der Schale begann zu dampfen und zu beben. Plötzlich schnellte eine Hand daraus hervor, die tastend um sich griff. Die Anwesenden standen wie zu Stein erstarrt. Alle, bis auf Flora! Das kleine Mädchen schnellte förmlich nach vorn, packte die Schale und leerte ihren Inhalt aus. Der Spuk war beendet.
„Beinahe wäre es übergekocht!“, sagte sie und schaute unsicher in die erschütterten Gesichter ihrer Geschwister. Wortlos riss Tibana das Kind in ihre Arme und herzte und küsste es. Dann gab sie eilig das Zeichen zum Aufbruch. Alrick rief die Krähen und binnen fünf Minuten befanden sie sich in der Luft.
XI.
Die Wiege der Drachen
Der Flug war weit und wurde unbehaglicher, je höher sie kamen. Am späten Nachmittag gab Alrick das Zeichen zum Landen. Das Licht wäre noch ausreichend gewesen, aber der Wind erschöpfte Mensch und Tier, sodass sie rasten mussten. Alrick hatte ein schmales Tal als Rastplatz gewählt, damit sie an den schroffen Seiten ein wenig Schutz vor dem Wind finden würden. So hoch oben war die Vegetation, was Bäume und Sträucher anging, schon etwas spärlich, aber weiches Gras gab es im Überfluss. Kaum hatten sie ihre Rucksäcke ins Gras gelegt, hörten sie leisen, näher kommenden Hufschlag.
„Wartet noch mit dem Auspacken!“, sagte Tibana verheißungsvoll. „Wenn wir Glück haben, werden wir die kommende Nacht mit Schutz und Behaglichkeit verbringen.“
Neugierig blickten die Kinder dem Geräusch entgegen und wagten kaum zu atmen, als plötzlich vier Zentauren im Galopp über die Wiese sprengten. Sie zügelten ihre Geschwindigkeit erst unmittelbar vor Tibana, die sich vor ihre Freunde gestellt hatte. Mit gesenkten Lidern betrachteten die Geschwister die muskulösen Körper der Zentauren, ihr langes, vom Wind zerzaustes Haar und die braunen Pferderücken.
„Unser Ruf ist scheinbar schon vorausgeeilt!“, sagte Tibana lächelnd. „Sei gegrüßt, Mirphak! Wie ich sehe, ist die alte Wunde bestens verheilt.“
„Danke der Nachfrage, Hüterin der Quelle. Das verdanke ich nur dir! Dies sind meine Gefährten Algol, Cauda und
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