Das Ende - Alten, S: Ende
erscheine
dir als ein reflektiertes, endliches Bild, das dein Geist akzeptieren und in sich aufnehmen kann.«
»Das Licht der Weisheit?«
»Die Essenz der Existenz.« Virgils blaue Augen tanzten hinter seiner rosaroten Brille. »Du möchtest wissen, wie all das um dich herum entstanden ist.«
»Bitte.«
»Gut. Aber was ich dir jetzt erklären werde, sind übernatürliche Dinge – Dinge, die weder Raum noch Zeit einnehmen, noch materielle Manifestationen darstellen, und die somit nichts mit genau jenen Elementen zu tun haben, die üblicherweise deine Sinne und deine Umgebung dominieren. Es sind Dinge, die du vielleicht nicht verstehen oder akzeptieren kannst, und doch wird deine Seele instinktiv wissen, dass sie wahr sind. Kämpfe nicht gegen dein Bauchgefühl an, indem du die Logik des Endlichen auf diese Worte anwendest.«
»Du willst mir damit sagen, dass mein Gehirn zu klein ist, um mit all diesen Dingen zurechtzukommen.«
»Ich will damit sagen, dass deine Sinne fest mit dem malchut , der physischen Welt, verbunden sind. Das Obere Reich ist eine vollkommen andere Realität. Es ist, als ob du, ein dreidimensionales Wesen, einer zweidimensionalen Comic-Figur deine Existenz erklären müsstest. Du würdest dich auf eine zweidimensionale Sprache beschränken müssen, um dreidimensionale Vorstellungen zu beschreiben.«
»Das ist Algebra, und ich bin nur ein Erstklässler. Ich hab’s kapiert. Muss ich noch etwas wissen?«
»Wie ich schon sagte: Zeit und Raum existieren im spirituellen Reich nicht. Wenn ich also das Wort vor benutze, bezieht es sich auf eine Ursache. Wenn ich nach sage, geht es um eine Wirkung.«
»Alles klar. Und jetzt sag mir … Was ist wirklich da draußen? Und wie ist alles entstanden?«
»In der Realität des Unendlichen gibt es den Schöpfer, es gibt das unerkennbare Wesen des Schöpfers, und es gibt das Licht, das vom Schöpfer kommt. Das Licht existiert im Endlosen. Das Licht ist die Vollkommenheit. Und obwohl du den Schöpfer selbst niemals erkennen kannst, ist Seine wesentliche Eigenschaft erkennbar. Diese Eigenschaft besteht darin zu teilen. Doch weil es am Anfang nichts gab, mit dem irgendetwas zu teilen möglich gewesen wäre, war eine entgegengesetzte Energie notwendig, um den Kreislauf zu vollenden – oder überhaupt erst in Gang zu setzen. In diesem Fall bedeutet das: Es war ein Gefäß erforderlich, das das unendliche Licht des Schöpfers empfangen konnte.
Und so wurde das Gefäß geschaffen. Sein einziger Sinn bestand darin zu empfangen. Dieses Gefäß war die vereinte, die all-einige Seele. So gab es im Endlosen nun also zwei Arten von Licht: Das Licht der Weisheit, das die Essenz der Existenz bildet, die nur aus Geben besteht, und das Licht der Gnade – das Gefäß –, dessen ganzes Verlangen darin bestand zu empfangen. Erinnerst du dich noch an das Beispiel, das ich dir einmal gegeben habe? Wenn das Licht der Weisheit der elektrische Strom in deinem Haus ist, dann ist das Licht der Gnade – das Gefäß – die Lampe, die man mit einer Steckdose verbindet, damit sie Zugang zu dieser Energie hat. Ohne die Lampe wird es nicht hell, und ohne das Licht der Gnade kann sich die Weisheit nicht offenbaren. «
»Das ist genau das, was du mir im Zusammenhang mit Dawn erklärt hast – es ist wie mit der Sonne. Die Sonne strahlt Energie aus, doch die Strahlung kann man
nur sehen, wenn sie von einem Himmelskörper reflektiert wird … wie zum Beispiel der Erde.« Shep hielt inne. Seine Gedanken rasten. »Virgil, du hast gesagt, dass du das Verlangen des Schöpfers bist, sich mir im Licht der Weisheit zu offenbaren. Soll das bedeuten, dass … du mein Licht der Gnade reflektierst?«
Virgil lächelte. »Kehren wir zur Schöpfungsgeschichte zurück. Im Endlosen, das die Gesamtheit der Existenz ausfüllte, gab es das Licht des Schöpfers, das sich bedingungslos verströmte, sowie – aufgrund von Ursache und Wirkung – auch das Gefäß, das Behältnis der vereinten Seele; diese vereinte Seele war die einzig wahre Schöpfung überhaupt. Die Tora gibt diesem Gefäß einen Namen: Adam. Doch das Gefäß Adam besaß, genau wie eine Batterie, zwei Aspekte oder Energien. Nämlich die männliche Energie aus positiv geladenen Protonen und die negativ geladene weibliche Energie, das Elektron, das die Schöpfungsgeschichte Eva nennt. Das Gefäß wollte nichts als empfangen, und das Licht wollte nichts als geben, und so kam es zu grenzenloser Erfüllung. Und doch war sich Adam dieses
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