Das Ende - Alten, S: Ende
zusammen. Sein Blick suchte nach dem Besitzer dieser neuen Stimme. Er hörte sich nähernde Schritte – das Knirschen von Stiefeln auf Kies – und drehte sich um.
Virgil Shechinah kam hinter einem Bagger hervor und trat in einen schmalen Sonnenstrahl, der aus einer kleinen Lücke in den Wolken zur Erde fiel. »Und sie sagten, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis in den Himmel reicht, auf dass wir uns einen Namen machen. Nun, Meister Dante, habt Ihr Euren Weg durch die Hölle auf der Suche nach Eurer geliebten Beatrice genossen?«
Die Erwähnung von Dantes toter Angebeteter machte Shep nur noch wütender. »Du bist ein Lügner, alter Mann, weißt du das? Du hast mir gesagt, du hättest mit meiner
Seelengefährtin gesprochen. Doch sie ist tot. Sie starb zusammen mit meiner Tochter genau an diesem Ort. Vor elf Jahren.«
»Ja, das stimmt. Und sie macht sich große Sorgen um dich.«
»Was soll das denn heißen? Bist du so eine Art Medium, das mit ihrem Geist Kontakt aufgenommen hat? Oder vielleicht bist du ja ein Engel? Bist du das, Virgil? Ein Engel, der von Bertrand DeBorn angeheuert wurde, mich in den Wahnsinn zu treiben?«
»Kein Engel. Und ich habe auch nie behauptet, dass ich Psychiater bin, genauso wenig, wie der verstorbene Mr. DeBorn mich an dich verwiesen hat. Das waren nur deine eigenen Vermutungen.«
»Okay, du bist also kein Seelenklempner. Was bist du dann? Warum hast du mich im VA Hospital besucht? Nein, warte. Das hatte ich ja ganz vergessen. Meine tote Seelengefährtin hat sich Sorgen um mich gemacht, also hat sie dich zu mir geschickt.«
Virgil lächelte. »Die Augen sind die Fenster der Seele. Schau mir in die Augen. Sag mir, was du siehst.« Er nahm seine rosarote Brille ab. »Nur zu. Ich beiße nicht.«
Shep trat einen Schritt näher und starrte in die blauen Augen des alten Mannes – und plötzlich wurde sein Bewusstsein von einer Woge ätherisch weißen Lichts überwältigt, dessen Wärme durch sein Gehirn drang und jede Zelle seines Körpers mit einer heilenden Energie erfüllte, die so tröstlich und so liebevoll war, dass er kichern musste.
Es war, als erwache er. Er lag desorientiert auf dem Boden und öffnete lächelnd die Augen. »Gott, war das ein Ansturm.«
»Belassen wir’s doch im Augenblick bei Virgil, oder?«
Shep setzte sich auf. Unglaublicherweise war die Erschöpfung der langen Nacht verschwunden, und die Kälte hatte keine Wirkung mehr auf ihn. »Ich weiß nicht, was du gerade getan hast, aber wenn wir das in Flaschen abfüllen könnten, würden wir ein Vermögen damit machen.«
»Was du erfahren hast, war kether, das Licht aus der obersten sefirot … der höchsten der zehn Dimensionen der Existenz. Nur einmal im Jahr hat der Mensch Zugang zu dieser Energie – nämlich während der Morgendämmerung, die auf die neunundvierzig Tage der inneren Reinigung nach Pessach folgt. Dieser Zeitpunkt ist der Erinnerung an die Verbindung zur Unsterblichkeit gewidmet, die vor vierunddreißig Jahrhunderten auf dem Berg Sinai existierte.«
»Na wunderbar, noch mehr Rätsel.« Kopfschüttelnd stand Shep auf. »Hör zu, wer immer du auch sein magst, in den letzten vierundzwanzig Stunden hast du dich mir gegenüber wie ein echter Freund verhalten. Doch vielleicht könntest du mir nur ein einziges Mal eine klare Antwort geben, in Anbetracht der Tatsache, dass wir wahrscheinlich schon in ein paar Minuten vom Verteidigungsministerium in ein Häufchen Asche verwandelt werden.«
»Im übernatürlichen Reich hat die Zeit keinen Platz, Patrick. Sieh dich um. Die Zeit existiert nicht mehr.«
Patrick hob den Kopf. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund bewegten sich die braunen Wolken nicht mehr. Es war, als seien sie an Ort und Stelle erstarrt. »Verdammt, was ist das denn? Nein, warte. Ich hab’s kapiert. Das ist eine weitere Halluzination, die mir dieser fürchterliche Impfstoff eingebrockt hat.«
»Alles war real. Und was den Impfstoff betrifft – der ist nichts als Wasser.«
»Wasser? Ich bitte dich!«
»Wasser ist der entscheidende Bestandteil der Existenz in der physischen Welt. Vor langer Zeit war Wasser mit der Essenz des Lichts durchtränkt, die ihm die Macht verlieh, zu heilen und zu erneuern und den Menschen auf Zellebene zu schützen. Die Menschen lebten damals sehr viel länger. Erst das überwältigende negative Bewusstsein der Menschheit konnte die Natur des Wassers nach der Sintflut beflecken. Dieser Prozess ist jedoch umkehrbar durch gewisse
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