Das Ende der Einsamkeit
Urlaub an der kalten britischen Küste leisten konnte.
Es bedrückte Alessandro, an seine Mutter zu denken, die er nur die ersten zehn Jahre seines Lebens gehabt hatte. Und es bedrückte ihn noch mehr, an den Vater zu denken, der treu und brav fünfundzwanzig Jahre lang für dieselbe Spedition geschuftet hatte, um genau dann entlassen zu werden, als er zu alt war, um noch eine neue Arbeit zu finden.
Bis zu seinem letzten Atemzug hatte er seinem Sohn immer wieder versichert, wie wundervoll sein Leben gewesen sei.
Doch Alessandro sah das anders. Fehlende Chancen und die Grausamkeit einer Gesellschaft, die den Wert eines Menschen nach Zeugnissen bemaß, hatten dafür gesorgt, dass die Talente seines Vaters verschwendet worden waren. Deshalb hatte Alessandro sich schon früh geschworen, sich diese Zeugnisse zu verschaffen und damit zu denen aufzusteigen, die die Welt kontrollierten, statt wie sein Vater kontrolliert zu werden.
Gedanken, die er für sich behielt. „Die drei Männer“, sagte er stattdessen, „die das zweifelhafte Vergnügen deines Auftritts hatten, spielen eine maßgebliche Rolle in meiner Zukunftsplanung.“
„Du meinst, die Nadelstreifentruppe?“
Er presste die Lippen zusammen. „Werde endlich erwachsen, Megan.“
Diese Aufforderung, mit so ungewohnter Kälte ausgesprochen, verletzte Megan tief. Ja, Alessandro und sie waren völlig gegensätzlich. Schon unzählige Male hatten sie herzlich darüber gelacht. Aber Alessandro hatte sie immer mit liebevoller Nachsicht behandelt, wenn sie ihn etwa mit improvisierten Picknicks im Park von seinen Büchern weglockte, oder ihr allenfalls lachend geraten, besser keine Karriere als Sängerin ins Auge zu fassen, wenn sie ihn spontan in eine Karaoke-Bar abgeschleppt hatte. Nie jedoch hatte er sie aufgefordert, erwachsen zu werden … und schon gar nicht in so einem Ton.
„Es sollte doch nur ein kleiner Spaß sein, Alessandro. Wie sollte ich denn ahnen, dass so wichtige Leute da sein würden? Und wofür brauchst du überhaupt einen Plan? Das Leben ist doch kein Schachbrett!“
„Doch, genau das ist es, Megan. Ein Schachbrett. Und mit unseren Zügen bestimmen wir, wie unser Leben letztendlich aussieht.“
„Ich weiß ja, dass du mit deinem Leben Großes vorhast, Alessandro, aber …“ Megan betrachtete ihn nachdenklich. „Man kann nicht alles planen. Ich hoffe auch sehr, dass ich einmal eine gute Lehrerin sein werde …“
„Irgendwo in einer kleinen Dorfschule.“
„Was ist schlecht daran?“
„Nichts.“ Alessandro seufzte. Wenn er in ihr offenes Gesicht und ihre ausdrucksvollen Augen blickte, kam er sich wie ein Monster vor. Aber dieses Gespräch musste sein. Unerwartet schnell kam die Zukunft mit der unaufhaltsamen Gewalt eines Güterzuges auf ihn zu und ließ ihm keine Wahl. „Hast du je überlegt, nach deinem Abschluss irgendwo anders zu unterrichten?“
„Warum sollte ich? Du weißt doch, dass St. Nick’s mir schon eine Stelle angeboten hat, wenn ich fertig bin.“ Megan freute sich bereits darauf, an dieser „kleinen Dorfschule“ zu unterrichten. Sie war nicht von so ehrgeizigen Plänen beseelt wie Alessandro und sah ihre Zukunft dennoch sehr rosig. „Wo sollte ich denn deiner Meinung nach unterrichten?“
„Wie wär’s mit einer Schule in London?“
„Was soll das eigentlich, Alessandro? Liegt es daran, dass du immer noch wütend auf mich bist, weil ich dich vor diesen Leuten blamiert habe? Lass es gut sein … Warte, ich hole uns beiden ein Glas Wein.“ Ehe er widersprechen konnte, stand sie auf, rekelte sich sexy, warf ihm über die Schulter einen verführerischen Blick zu und verschwand in der winzigen Küche, um zwei große Gläser Wein einzuschenken.
Insgeheim hatte sie gehofft, ihn bei ihrer Rückkehr schon ausgezogen vorzufinden wie eigentlich immer, wenn sie es darauf anlegte, ihn zu verführen. Doch diesmal war alles anders. Alessandro war vom Sofa aufgestanden, und seine unbehagliche Miene verriet, dass er das Gespräch noch nicht für beendet hielt.
Was immer diese drei Männer ihm gesagt hatten, es hatte ihn ganz offensichtlich etwas zu nachdenklich gemacht … weshalb Megan es gerade für ihr Pflicht hielt, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Zumal sie unbewusst ahnte, dass sie gar nicht wirklich hören wollte, was Alessandro ihr zu sagen hatte.
Entschlossen stellte sie die Weingläser auf den kleinen, ramponierten Tisch vor dem Fenster, zog Alessandros Hemd wieder aus und warf es achtlos auf einen
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