Das Ende der Liebe
Die eigene, persönliche. Die selbstentwickelte, selbstbefriedigte. Die freien Menschen haben eine eigene Sexualität – entwickelt durch viel Erfahrung und unendliches Fantasieren, das auf Erfahrung beruht.
Die Menschen suchen einerseits im Sex die Unendlichkeit und stürzen andererseits in den Sex nur deshalb, weil kein Zwang, keine Gewohnheit, keine Regel sie mehr zurückhalten. Aus beidem, Unendlichkeitssex wie blinden Sexstürzen, aus den Selbstbefriedigungsfantasien und den wirklichen Begegnungen (die sich dann in den Fantasien unendlich wiederholen, wie die Begegnungen umgekehrt die Fantasien wiederholen sollen) entwickelt sich mit der Zeit ein eigener sexueller Entwicklungsroman, eine sexuelle Autobiografie, die eigene Sexualität der freien Menschen.
Es ist eine Sexualität, die aus der unbegrenzten Freiheit, den unbegrenzten Möglichkeiten, hervorgegangen ist – und die sich ihrerseits keiner Begrenzung mehr fügt, auch nicht jener durch die Liebe.
Die freien Menschen haben eine hypertrophe Sexualität. Die Unendlichkeit macht sie zu monströsen Kopfmenschen, Augenmenschen und – Geschlechtsmenschen. Die freien Menschen leiden an einer Zwangsgrübelei (betreffend der Verbesserung ihrer Arbeits-, Therapie-, Wohnorts-, Liebes- und Sexpartnersuchen), einer Zwangsguckerei (zielend auf alle passierenden Möglichkeiten) und einer entsprechenden Zwangserregung .
Was früher pervers hieß, das heißt jetzt persönlich. Was die Menschen schon immer in der Fantasie hatten, haben sie nun auch in der Realität. Das Sexleben ist genauso wirklich geworden wie das Liebesleben . Die Menschen haben ihre Erregung [184] gebildet – an ihren Erregungsmöglichkeiten. Nicht das Paar hat mehr eine Sexualität, sondern das Ich; es bildet seine Sexualität in der Begegnung mit Vielen, in der unendlichen Selbstbefriedigung, in vielen Paarungen und Lebensphasen, eine vielschichtige, vielköpfige Sexualität, von Hydragestalt, die das Ich also auch mit Vielen ausleben kann und muss.
Die Sexualität verlagert sich also vom Zwischen-Menschlichen ins Innere des Einzelnen. Wie aus der Disziplinierung und Beherrschung durch Andere mehr und mehr die Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung wird, aus dem Befehl die Motivation, so wird aus der Paarsexualität mehr und mehr die Selbstsexualität, ein je Fertiges im Inneren des Menschen, das wie ein Stecker in unendlich viele Dosen passt, das seine Bestimmung als Eigenes und Unabhängiges erst erfüllt, wenn es sich mit unendlich vielem verbindet.
Die freien Menschen werden zu ihrer Sexualität befragt: »Wie sieht deine sexuelle Persönlichkeit aus? Also: Welche Kleidung erregt dich? Welche Schuhe? Erregt dich das Haar deines Partners? Langes Haar oder kurzes? Erregen dich Muskeln? Oder Sommersprossen? Dünne Menschen oder dicke? Sollte dein Partner größer sein oder kleiner? Erregen dich Vater- oder Mutterfiguren? Stehst du auf Dominanz oder Unterwürfigkeit? Brauchst du den Kampf? Gehst du in Swingerclubs? Machst du es in der Fantasie? Stehst du auf Fesseln? Erregt es dich, Sex in Autos oder in Zügen zu haben? Auf öffentlichen Toiletten, in einer Bibliothek? Erregt es dich, dass andere Menschen dir zusehen? Stehst du auf Gruppensex? Hast du ihn in der Fantasie? Welche Stellung macht dich am meisten an? Benutzt du beim Sex einen Dildo? Stehst du auf dreckige Wörter? Analsex? Hast du Analsex in der Fantasie? Hältst du solche Fragen für selbstverständlich? Wurden sie dir schon häufig gestellt? Hast du dich selbst oft gefragt, was dich [185] erregt? Hast du versucht, diese Dinge in der Realität zu finden? Hast du deinen Partner danach ausgesucht? Hast du versucht, deinen Partner zu bestimmten Dingen zu überreden? Hat dein Partner dich nach deinen Fantasien gefragt? Glaubst du, dass Fantasien dazu da sind, verwirklicht zu werden? Erregt es dich, wenn dein Partner über deinen Körper Eiswürfel gleiten lässt? Wenn er von deinem Bauch isst? Wenn er dich füttert? Stehst du auf Asiaten? Italiener? Rauchst du vorher gern einen Joint? Hast du gern Sex auf Ecstasy? Oder lieber auf Kokain? Möchtest du, dass der Andere vor dir kniet? Erregt es dich, beim Sex Musik zu hören? Wenn ja: welche? Klassik? Techno? HipHop? Hardrock? Hast du gern spontan Sex? Mitten am Tag? Oder lieber abends? Im Bett? Brauchst du Licht oder Dunkelheit? Stimulierst du dich beim Sex selbst? Können andere dich durch Berührungen so erregen wie du dich selbst? Wenn nein: Liegt das am Ungeschick der Anderen
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