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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
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als sexuelle Ekstase .
    Die freien Menschen suchen nach der Liebe mittels der Erregung, mittels des Sex. Sie schlafen mit Vielen, auf der Suche nach Liebe. Doch das Mittel verändert den Zweck; es wird allmählich selbst zum Zweck. Die Menschen passen das Ziel ihrer Suche dem Instrument ihrer Suche an. Sie haben mittels des Sex gesucht, jetzt suchen sie den Sex selbst.
    Wie jemand, der gezwungen ist, seinen zu Liebenden an dessen Verhalten in Gesellschaft zu erkennen, am Ende den vollkommenen Gesellschafter sucht, so sind die freien Menschen gezwungen, ihren zu Liebenden an der eigenen Erregung zu erkennen, und suchen am Ende den unendlich Erregenden.
    Ursprünglich hatten die Menschen sich die Ekstase nur als eine Offenbarung des Einen, des Geliebten vorgestellt. Die Ekstase war der brennende Busch, in dem ihnen der Eine, Geliebte erschien. In der Ekstase zeigte er sich, erwies er sich als der einzig Mögliche und Richtige. Doch irgendwann begannen die Menschen, nach dem Einen in jedem Feuer zu suchen. Ja, sie suchten nun das Feuer selbst . Sie hatten vergessen, [191] dass ihnen im Feuer einst etwas anderes erschienen war. Jetzt suchen die Menschen den Meist-Erregenden, Immer-Erregenden.
    Man stelle sich vor!
    Eine Frau, die seit einigen Jahren, genauer: seit fünfzehn Jahren, auf Liebessuche war, hatte mit allen Männern, für die sie sich im Laufe ihrer Suche auch nur im Entferntesten interessiert hatte, schlafen müssen, so wollte es das Gesetz . Es war ein Verbrechen, unter Auslassung des Geschlechtsakts sich ein Urteil zu bilden, eine Wahl zu treffen. Während der vergangenen fünfzehn Jahre hatte die Frau also mit ungefähr hundertzwanzig Männern geschlafen, die genaue Zahl war ihr nicht bekannt. Verständlicherweise war die Frau das, wie sie sagte, ewige sexuelle Ritual leid. Sie könne sich »womöglich auch ohne den Sex ein Urteil bilden«, so die Frau, doch es führe »bekanntlich kein Weg daran vorbei«. Das Problem sei, so die Frau weiter, dass ihr der leidige Akt auch die Männer verleide, also mehr Wahrheit erzeuge, als offenbare. »Ich versuche immer, mir den Eindruck zu merken, den ich vor dem Geschlechtsakt hatte«, sagte die Frau, »doch das will mir nicht gelingen«.
    Das Gesetz entfaltet sich hinter dem Rücken der Menschen. Sex ist für die Menschen zunächst nicht Prüfung des Anderen, nur Versuchung des Selbst; dennoch, sobald sie miteinander geschlafen haben, ist er der größte Posten in der Bilanz, die sie nun, an diesem Ende vor dem Anfang, zu ziehen haben.
    Nichts ist offen am Morgen danach. Was die Menschen für einen Anderen empfinden, das Gefühl, das sie in sich selbst vorfinden, ist in jedem Fall ein Nachgefühl, Nachgeschmack und Nachdenken – nach dem Sex. Die Menschen werden, noch bevor sie sich verlieben können, mit aller möglichen Erfahrung [192] beladen. Es ist, als müssten sie sich nach vielen Jahren gemeinsamen Alltags verlieben. Doch die Bürde ist hier nicht der All-Tag, sondern die All-Tat, das Alles-schon-getan-Haben.
    Früher entstand Liebe nicht nur ohne Erfahrung des Alltags, sondern auch ohne die Erfahrung des Sex. Sie musste sich an anderes halten. Der Geliebte war nicht deckungsgleich mit seiner Sexualität. Für die freien Menschen dagegen ist der Andere nicht mehr unterscheidbar von seiner Sexualität. Das Gefühl für ihn ist ununterscheidbar von der Erregung oder Nicht-Erregung beim Sex mit ihm. Die Sexualität des Anderen ist keine Handlung mehr, die man von seinem Wesen unterscheiden, keine Schuld, die er büßen könnte, sondern sie ist jetzt untrennbar von seiner Person. Der Andere ist für die freien Menschen zuerst und vor allem ein sexuelles Wesen. Die Persönlichkeit des Anderen ist vor allem seine sexuelle Persönlichkeit, seine Persönlichkeit beim Sex .
    Auch die Menschen selbst erfahren sich nun zuerst und vor allem als sexuelle Wesen. Sie erfahren ihre Persönlichkeit – im vorgestellten Bewusstsein des Anderen oder durch seine tatsächlichen Äußerungen – vor allem im Sex, als sexuelle Persönlichkeit.
    Welche Entscheidung die Menschen auch treffen, es ist eine Sexentscheidung. Welches Gefühl sie auch haben, es ist ein Sexgefühl. »Will ich mit diesem sexuellen Wesen leben? Will ich, durch das Zusammensein mit diesem Menschen, dieses sexuelle Wesen sein ? Liebe ich dieses Sex-Du? Dieses Sex-Ich?« Grundlage und Ausgangspunkt jeder Beziehung ist entweder die Sexeuphorie oder die Sexenttäuschung. Es ist die Ekstase oder das Ausbleiben der

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