Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
erscheinen uns derartige Szenarien ziemlich unrealistisch. Die technischen Voraussetzungen für eine umfassende Kontrolle unseres Gesundheitszustands sind jedoch bereits heute weitgehend verfügbar.
Andererseits werden medizinische Daten seit Menschengedenken besonders geschützt. Die ärztliche Schweigepflicht ist viel älter als der Datenschutz. Sie soll das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stärken und es ihnen ermöglichen, offen über den Gesundheitszustand zu reden, ohne dass Dritte davon Kenntnis erhalten. Schleichend hat sich allerdings der Kreis der Personen erweitert, die Gesundheitsdaten erfahren. Nicht nur das unmittelbare ärztliche Hilfspersonal und Pflegekräfte gehören dazu, sondern auch Mitarbeiter von beauftragten Labors, privatärztliche Abrechnungsstellen, kassenärztliche Vereinigungen und schließlich private und gesetzliche Krankenversicherungen (vgl. 3.7). In Krankenhäusern wird die Schweigepflicht eher institutionell verstanden, also nicht als Ausdruck des persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und seinem Arzt. Dementsprechend erhalten im arbeitsteiligen Betrieb zwangsläufig nicht nur die behandelnden Ärzte, sondern auch andere ärztliche Mitarbeiter, Pflegekräfte und Verwaltungspersonal, Kenntnis von den Gesundheitsdaten.
Bereits seit vielen Jahren setzen Arztpraxen und andere medizinische Einrichtungen Computer ein: zur Terminkoordination, zur ärztlichen Dokumentation und zur Abrechnung erbrachter Leistungen. Nahezu jeder Arztbrief wird heute auf einem Computer erfasst, und vielfach werden auch Rezepte zunächst elektronisch ausgefüllt, ehe sie ausgedruckt und dem Patienten ausgehändigt werden. Immer wieder haben die Datenschutzaufsichtsbehörden eklatante Mängel beim Datenschutz und bei der Datensicherheit von Praxissystemen festgestellt. Wegen des Anschlusses vieler Praxissysteme an das Internet sind weitere Risiken hinzugekommen, über die sich viele Ärzte nicht annähernd bewusst sind.
Mittels Gesundheitskarte zum gläsernen Patienten?
Bringt die »elektronische Gesundheitskarte« (eGK) den gläsernen Patienten? Hat mein Arbeitgeber in Zukunft Zugriff auf meine Gesundheitsdaten? Muss ich aufgrund besonderer Risiken höhere Krankenversicherungsbeiträge zahlen? Diese Fragen werden derzeit von vielen gestellt, und sie sind berechtigt. Wenn immer mehr Gesundheitsdaten in elektronischen Systemen gespeichert werden und wenn diese Systeme zunehmend miteinander vernetzt werden, gehen damit erhebliche Risiken einher.
Die Krankenkassen verwenden seit Jahren Chipkarten, auf denen allerdings lediglich Verwaltungsdaten gespeichert werden. Die Gesundheitskarte soll zusätzlich die Einführung »telematischer medizinischer Anwendungen« unterstützen: vom elektronischen Rezept bis zur digitalen Krankenakte. Die eGK ist eines der bisher größten IT-Projekte überhaupt: Es umfasst rund 80 Millionen Versicherte, 260 Krankenversicherungen, 2200 Krankenhäuser, 21 000 Apotheken und 188 000 Ärzte.
Das elektronische Rezept soll als einzige »Pflichtanwendung« auf der eGK gespeichert werden. Alle weiteren medizinischen Daten sollen bloß auf freiwilliger Basis elektronisch verfügbar werden. Dies ist aus Datenschutzsicht zu begrüßen, denn die Versicherten können damit weitgehend selbst darüber entscheiden, welche ihrer Gesundheitsdaten aufgenommen werden. Sie entscheiden auch darüber, welche Daten der Arzt oder Apotheker erfährt.
Das Gesetz schreibt ferner vor, dass nur Angehörige des Gesundheitswesens mit elektronischem Heilberufsausweis (Health Professional Card – HPC) auf die Daten zugreifen können, und zwar im Regelfall nur dann, wenn auch die eGK vorhanden ist und der Versicherte einwilligt. Nur auf die Notfalldaten soll der Notarzt auch ohne Mitwirkung des Betroffenen zugreifen können, wenn der Betroffene die Daten nicht selbst freigeben kann. Ferner wurde der bisher auf die Arztpraxis beschränkte gesetzliche Schutz der Patientenunterlagen gegen Beschlagnahme auf alle Gesundheitsdaten ausgeweitet, die auf der eGK und in damit verbundenen Telematiksystemen gespeichert sind.
Trotzdem ist die Kritik an der Gesundheitskarte nicht verstummt: Die einen befürchten, dass die mittels der eGK erschließbaren medizinischen Daten auf Dauer nicht ausreichend gesichert bleiben. Andere hingegen – vor allem Vertreter von Kassen und Gesundheitspolitiker – bezweifeln, dass allein mittels der freiwillig von den Patienten zur Verfügung
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