Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Wortlaut und vom Inhalt her unverständlich. Dies führt letztlich dazu, dass die Betroffenen, um deren Schutz es eigentlich geht, ihre Rechte nur unvollkommen wahrnehmen.
Das Volkszählungsurteil stoppte nicht nur die Volkszählung, sondern es wirkte in der Folgezeit auch politisch befriedend: Indem das höchste deutsche Gericht den Volkszählungskritikern recht gab, nahm es zugleich manchen der von ihnen vorgebrachten Argumenten den Wind aus den Segeln. Ein Überwachungsstaat hätte sich eben nicht durch eine bloße Gerichtsentscheidung stoppen lassen. Ein totalitäres System hätte Mittel und Wege gefunden, ein derart zentrales Projekt (als solches wurde die Volkszählung ja von vielen Kritikern gesehen) brachial durchzusetzen. Das Volkszählungsurteil lieferte damit einen Beleg dafür, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland eben nicht um einen totalitären Überwachungsstaat handelte, sondern um ein demokratisches System, in dem Gerichte über die Einhaltung von Bürgerrechten wachen und sogar den Gesetzgeber bisweilen korrigieren. Wenn man bedenkt, dass ein großer Teil der Aktivisten der Anti-Volkszählungs-Bewegung aus den Kreisen der staatskritischen ehemaligen »68er«-Bewegung stammte, kann man die Bedeutung der Volkszählungsentscheidung für deren Integration in die bürgerliche bundesrepublikanische Gesellschaft kaum überschätzen.
Trotz der beschriebenen Tendenz, das Volkszählungsurteil in erster Linie formal im Sinne der Verrechtlichung der Datenverarbeitung umzusetzen, hat es doch in gewissem Umfang ein (häufig leider nur vorübergehendes) Umdenken in Behördenspitzen bewirkt. So wurde Mitte der Achtzigerjahre in vielen Ämtern die bis dahin vorherrschende Vorstellung in Frage gestellt, immer mehr Daten würden automatisch zu immer besseren Ergebnissen führen. Infolgedessen wurden viele Datensammlungen von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden in dieser Zeit überprüft und – teils erheblich – bereinigt.
In den letzten Jahren ist diese Einsicht allerdings zum großen Teil wieder verschüttet worden. Insbesondere nach dem 11. September 2001 scheint sich der alte Grundsatz wieder durchgesetzt zu haben, den Erich Mielke, der einstige Minister für Staatssicherheit der DDR, einmal wie folgt formulierte: »Um sicher zu sein, muss man alles wissen.« 27
3.2 Großer Lauschangriff
Die nächste große Datenschutzdebatte erlebte die Bundesrepublik Deutschland in den Neunzigerjahren, als über die Einführung einer gesetzlichen Befugnis zur akustischen Wohnraumüberwachung, den »Großen Lauschangriff«, gestritten wurde. Obwohl das Abhören von Privaträumen, »die Wanze unter dem Bett«, illegal war, machten bundesdeutsche Behörden in Einzelfällen von dieser Ermittlungsmethode Gebrauch. Spektakulär war vor allem der »Fall Traube« Ende der Siebzigerjahre. Klaus Traube war Atomphysiker, bei dem die Sicherheitsbehörden Kontakte zur RAF vermuteten. Seine Wohnung war mit Abhörmikrofonen verwanzt worden, um Näheres zu erfahren. Allerdings verliefen die Ermittlungen im Sande, und der Verdacht erhärtete sich nicht. Als immer mehr Fakten über diese Affäre ans Licht der Öffentlichkeit gelangten, reichte der damalige Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP), der die Abhöraktion gebilligt hatte, angesichts der empörten öffentlichen Reaktionen seinen Rücktritt ein. Kurze Zeit später erlitt Bundesverteidigungsminister Georg Leber (SPD) 1978 wegen einer von ihm mitzuverantwortenden illegalen Abhöraktion des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) das gleiche Schicksal.
Angesichts dessen war die Neigung der Politik, sich für Abhörbefugnisse einzusetzen, zunächst nicht besonders ausgeprägt. Erst Anfang der Neunzigerjahre bemühten sich die Befürworter verstärkt um die Legalisierung des Lauschangriffs. Entsprechende Vorstöße des Bundesrats verliefen allerdings zunächst im Sande, weil sowohl die Bundesregierung unter Helmut Kohl als auch die oppositionelle SPD sich noch 1992 einer entsprechenden Verfassungsänderung verweigerten. Als die FDP – für manche überraschend – per Urabstimmung 1997 die Zulassung der akustischen Wohnraumüberwachung billigte, führte dies zum Rücktritt der liberalen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, einer erklärten Gegnerin dieser heimlichen Ermittlungsmethode. Als auch die SPD unter maßgeblicher Beteiligung ihres innenpolitischen Sprechers Otto Schily auf die Seite der Befürworter wechselte, war eine
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