Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Telefonüberwachungsmaßnahmen im Rahmen der Strafverfolgung. Im Jahr 1995 wurden rund 4700 neue Überwachungsanordnungen gezählt. Bis 2005 hat sich die Zahl auf mehr als 35 000 versiebenfacht, wobei von jeder Maßnahme mehrere Personen, im Extremfall sogar mehrere tausend, betroffen sind. Auch wenn die ganz überwiegende Zahl der Telefonate nicht überwacht wird, seien – dies behaupten inzwischen nicht nur Rechtswissenschaftler – Telefonüberwachungsmaßnahmen bei bestimmten Delikten, etwa im Drogenbereich, quasi zum Standard geworden und unterbleibe im Einzelfall allzu häufig die vorgeschriebene Prüfung, ob auch weniger intensive Grundrechtseingriffe Erfolg versprechend seien.
Nachrichtendienste hören mit
Auch die Verfassungsschutzbehörden, der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) dürfen die Telekommunikation überwachen. Ihre diesbezüglichen Befugnisse sind durch das »G10« geregelt (dieser kryptisch anmutende Titel ist die Abkürzung für »Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses – Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz«). Die Dienste dürfen die Telekommunikation überwachen oder aufzeichnen »zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen«. Die jeweiligen Überwachungsmaßnahmen müssen durch eine besondere Kommission des Deutschen Bundestages (G10-Kommission) angeordnet werden.
Dem BND hat neben der gezielten Überwachung auch die Befugnis zur sogenannten »strategischen Kontrolle«. Hierbei werden die gesamten Datenströme internationaler Telekommunikation überwacht, insbesondere bei der Satellitenkommunikation. Die strategische Kontrolle war zunächst auf die Abwehr der Gefahr eines bewaffneten Angriffs begrenzt. 1994 wurde sie auf den internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Kriegswaffen und den internationalen Drogenhandel ausgedehnt. Die überwachten Telefonate dürfen dabei automatisch mit bestimmten Suchbegriffen abgeglichen werden.
Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass der deutsche Fernmeldeverkehr auch von ausländischen Geheimdiensten überwacht wird. Im Fadenkreuz stehen dabei insbesondere Funkverbindungen. Von zentraler Bedeutung ist dabei das von westlichen Nachrichtendiensten seit dem Zweiten Weltkrieg betriebene weltweite Überwachungsprojekt »Echelon«, dessen Aktivitäten Gegenstand eingehender Untersuchungen des Europäischen Parlaments (EP) waren. Auch wenn der 2001 vorgelegte Bericht des zu diesem Thema eingerichteten EP-Ausschusses keine Zweifel an der Existenz des Systems äußerte, gelang es ihm nicht, den Schleier des Geheimnisses wirklich zu lüften, der sich immer noch über diesem Projekt ausbreitet. 31 Sicher schien dem Europäischen Parlament allerdings, dass die Überwachung nicht nur für staatliche, sondern auch für wirtschaftliche Zwecke erfolgt.
Ein weiterer Bereich, der gerade in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen hat, ist die Befugnis zur »präventiven Telekommunikationsüberwachung« durch die Polizei. Während es bei den in der Strafprozessordnung geregelten Befugnissen um die Aufklärung von Straftaten geht, die bereits stattgefunden haben, setzen die präventiven Befugnisse bereits im Vorfeld von Gefahren und Straftaten an. Je weiter die Überwachungsbefugnisse ins Vorfeld einer konkreten Gefahr oder einer Straftat verlagert werden, als desto problematischer erweisen sie sich, da die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass völlig unbeteiligte und unschuldige Personen betroffen sind. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung zur präventiven Telekommunikationsüberwachung im niedersächsischen Polizeigesetz beanstandet. In seiner Entscheidung vom 27. Juli 2005 betonte das Gericht, dass hier die verfassungsrechtlichen Grenzen deutlich überschritten waren. So war eine Telefonüberwachung schon dann zulässig, wenn bloß »angenommen« wurde, dass eine Person Straftaten begehen werde. Auch »Kontakt- und Begleitpersonen« durften überwacht werden. Diese Regelungen waren – so das Bundesverfassungsgericht – nicht bestimmt genug und auch unverhältnismäßig. 32
Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten
Die Verkehrsdaten (früher: Verbindungsdaten) waren seit jeher von Interesse für staatliche Stellen. Schon seit 1928 räumte das Fernmelderecht
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