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Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Titel: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schaar
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sind.
    Angesichts der heutigen Möglichkeiten, elektronisch zu kommunizieren, gerät in Vergessenheit, dass noch bis Ende der Neunzigerjahre überwiegend analoge Verfahren in der Telekommunikation eingesetzt wurden. Die Analogtechnik beschränkte einerseits die Anwendungsmöglichkeiten. Andererseits hinterließen Telefonanrufe im Regelfall keine Spuren: Wenn der Telefonhörer aufgelegt war, ließ sich nicht mehr nachvollziehen, wer angerufen oder von welchem Anschluss aus die Verbindung aufgebaut worden war. Die Verbindungen wurden dabei durch elektromechanische Relais hergestellt, und lediglich durch den aufwändigen und gezielten Einsatz sogenannter »Zählvergleichseinrichtungen« konnten die Rufnummern registriert werden, die von einem Telefonanschluss aus angerufen wurden. Noch schwieriger gestalteten sich Fangschaltungen, mit denen der Ausgangspunkt eines Anrufs ermittelt werden konnte (manche älteren Krimis vermitteln einen Eindruck von dem Aufwand, der zum Beispiel mit der Rückverfolgung eines Erpresseranrufs verbunden war).
    Heute stellt sich die Situation völlig anders dar. Sämtliche Verbindungen, ob aus dem Telefonfestnetz, vom Handy aus oder bei Verwendung des Internets, werden digital vermittelt. Dabei entstehen quasi beiläufig Daten darüber, wer mit wem wann unter Verwendung welcher technischen Einrichtungen kommuniziert.
    Die technologische Revolution hat unser Kommunikationsverhalten umgekrempelt. Neben die klassische Telefonie ist eine Vielzahl neuer Dienste getreten, die sich noch vor wenigen Jahren kaum jemand vorstellen konnte. Handynutzung und Kurznachrichten per SMS sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Heute gibt es bereits mehr Mobilfunk- als Festnetzanschlüsse. Hinzu kommen die Kommunikationsmöglichkeiten, die das Internet bietet, von der E-Mail über das Surfen im Web bis hin zur Internettelefonie (Voice over IP). Mit dem »Internet der Dinge«, mit dem auch Alltagsgegenstände – etwa Kühlschränke oder Heizungsanlagen – weltweit vernetzt werden, steht die Telekommunikation vor einem neuen Quantensprung.
    Die Inhalte der Kommunikation und die bei der Nutzung der elektronischen Dienste anfallenden Daten verraten immer mehr über uns. Der Schutz der Kommunikationsprozesse ist deshalb dringlicher denn je. Das in Artikel 10 des Grundgesetzes verankerte Fernmeldegeheimnis ist eines der zentralen Schutzrechte der Informationsgesellschaft, denn ohne Fernmeldegeheimnis wäre auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also der Datenschutz, reine Theorie. Das Fernmeldegeheimnis bezieht sowohl die Kommunikationsinhalte als auch die »näheren Umstände der Telekommunikation« mit ein, also Daten darüber, mit wem, an welchem Ort und wann die Kommunikation stattgefunden hat. Unter Schutz steht sogar die Information darüber, ob überhaupt kommuniziert wurde. Geschützt sind nicht bloß Telefongespräche, sondern auch der Zugang zum Internet, das Versenden oder der Empfang von E-Mails und sonstige nicht für die Allgemeinheit bestimmte Meldungen.
    Auf der Grundlage des alliierten Besatzungsrechts wurden bereits in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Telefone abgehört, etwa bei der Spiegel -Affäre 1962, als wegen eines kritischen Artikels über die Bundeswehr die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins durchsucht und Redakteure und Herausgeber inhaftiert wurden. Die Möglichkeit zur Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses per Gesetz wurde aber erst durch die sogenannten »Notstandsgesetze« in Artikel 10 Absatz 2 des Grundgesetzes aufgenommen. Die 1968 beschlossene Regelung war heftig umstritten, denn bereits damals wurde die Befürchtung geäußert, die Bundesrepublik Deutschland könnte sich zu einem Überwachungsstaat entwickeln.
    Wie fällt vierzig Jahre später die Bilanz staatlicher Fernmeldeüberwachung aus? Haben sich die Befürchtungen bewahrheitet? Anscheinend ja, denn die Befugnisse zur Überwachung des Telekommunikationsverkehrs wurden immer umfangreicher. Der Katalog der Straftaten, bei denen die Telekommunikation überwacht werden darf, wurde immer wieder ausgeweitet. Heute umfasst er eine kaum noch zu überblickende Vielzahl von ganz unterschiedlich schweren Delikten, von der Verbreitung pornografischer Schriften über Hehlerei bis hin zu Kapitalverbrechen.
    Auch die Praxis der Telefonüberwachung gibt zur Sorge Anlass. So dokumentiert die von der Bundesnetzagentur veröffentlichte Jahresstatistik eine stetig steigende Zahl der

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