Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Kontonummer, Telefonnummer.
Die Herausbildung des Meldewesens – eine im internationalen Vergleich bis zum heutigen Tag keineswegs selbstverständliche Angelegenheit – begann bereits im Spätmittelalter. Vor allem Städte installierten umfangreiche Systeme, durch die vorwiegend Zugereiste registriert wurden (vgl. 2.1). Zunächst beschränkte sich auch das »Allgemeine Paß-Edikt für die Preußische Monarchie« von 1817 auf eine Meldepflicht zur Aufsicht über Ausländer in Gasthöfen und Herbergen. Ab 1842 musste sich jeder neu Hinzugezogene bei der Polizeibehörde des jeweiligen Ortes melden und seine persönlichen Verhältnisse offenlegen. Allmählich wurden diese Ansätze einer allgemeinen Meldepflicht auf das gesamte Deutsche Reich übertragen und schließlich unter dem NS-Regime 1938 mit einer Reichsmeldeverordnung perfektioniert.
Staatliche Tätigkeit ist heute mehr denn je Umgang mit Daten und Informationen. Die vom Staat übernommenen Aufgaben spiegeln sich in umfangreichen Datenbeständen. Dabei geht es schon lange nicht mehr nur um die klassische staatliche Aufgabe der Aufrechterhaltung der »öffentlichen Sicherheit und Ordnung«. Praktisch alle gesellschaftlichen Bereiche sind heute mit staatlichem Handeln verknüpft, vom Gesundheitswesen über die Sozialversicherung bis hin zu Bildung und Wissenschaft. Vom Staat wird erwartet, dass er für Gerechtigkeit sorgt und die Bürger vor äußeren Bedrohungen schützt. Er fördert die Kultur und reguliert die Medien und vieles mehr.
Die Bürger treten dabei dem Staat in unterschiedlichen Rollen gegenüber. Als Wähler entscheiden sie über Parlamente und Regierungen und nehmen so Einfluss auf Sachentscheidungen. Als Zuwendungsempfänger nehmen sie materielle Leistungen in Anspruch. Als Verkehrsteilnehmer benutzen sie öffentliche Wege und beanspruchen dabei vom Staat die Gewährleistung der Verkehrssicherheit. Als einer Straftat Verdächtige stehen sie im Visier der Strafverfolgungsbehörden. Als Steuerzahler und Sozialversicherungspflichtige finanzieren sie das Gemeinwesen usw. Vor diesem Hintergrund erscheint es doch etwas verkürzt, wenn sich manche eGovernment-Konzepte allein darum drehen, die Bürger nur als »Kunden« zu sehen, die man möglichst kostengünstig und schnell mit Leistungen zu versorgen hat, während Fragen der Transparenz, der Mitwirkungsmöglichkeiten und des Datenschutzes in den Hintergrund treten (vgl. 3.9).
Der Staat muss in der Demokratie Recht und Gesetz beachten und wird durch unabhängige Gerichte kontrolliert. Alle Bürger können sich auf Grundrechte berufen, die der Staat zu respektieren hat. Sie wurden dem Volk vom Staat nicht gnadenhalber gewährt, sondern in einem langen Prozess erstritten. Zum modernen, mit vielfältigen Informationen über seine Bürger umgehenden demokratischen Staat gehört auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das Bundesverfassungsgericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Menschenwürde abgeleitet hat (vgl. 3.1).
Es ist eine fatale Tendenz, dass staatliche Stellen die Bürger zunehmend als Risikofaktoren, potenzielle Regelverletzer oder gar Straftäter ansehen. Je mehr der Staat die Bürger überwacht, desto schlechter ist es um den Datenschutz und damit letztlich auch um die Freiheit insgesamt bestellt. Andererseits ist aber auch richtig, dass es Freiheit nur geben kann, wenn die Bürger vor Kriminalität, Terrorismus und anderen – auch sozialen – Bedrohungen angemessen geschützt werden. Sicherheit und Freiheit stehen in einer komplizierten Beziehung, die immer wieder zu vielfältigen Erklärungsversuchen Anlass gab. Im Ergebnis spricht vieles für die Benjamin Franklin zugeschriebene These aus dem Jahr 1775:
»Wer grundlegende Freiheiten aufgibt, um vorübergehend ein wenig mehr Sicherheit zu gewinnen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.«
Im Folgenden sollen wichtige Bereiche staatlichen Handelns, in denen dem Umgang mit personenbezogenen Daten besondere Bedeutung zukam bzw. zukommt, einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
3.1 Heute schon gezählt? Die Volkszählungsdebatte
Volkszählungen gibt es seit biblischen Zeiten. Nicht immer ging es dabei bloß um die Ermittlung demografischer Angaben, etwa für Zwecke der Steuererhebung. Bisweilen wurden Volkszählungen auch zur Vorbereitung von Unterdrückungsmaßnahmen genutzt, von der Volkszählung des Herodes zu Zeiten von Christi Geburt bis zur großdeutschen Volkszählung
Weitere Kostenlose Bücher