Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
einen schlechteren Score-Wert.
Eine Anfang 2007 von der Zeitschrift Finanztest durchgeführte Untersuchung ergab, dass allein schon die Nachfrage bei einer Bank nach ihren Kreditkonditionen die Risikobewertung von Bankkunden verschlechtere. Es ist ziemlich absurd, einerseits vom aufgeklärten Verbraucher zu erwarten, dass er die finanziellen Konditionen konkurrierender Banken vergleicht, dies jedoch verschlechterte Kreditbedingungen nach sich zieht. Zwar differenziert die Schufa seit Kurzem zwischen der »Anfrage Kreditkonditionen« und der »Kreditanfrage«, wobei nur Letztere zu einem verschlechterten Score-Wert führen soll. Offenbar hat sich diese Neuerung nicht bei allen Banken herumgesprochen, denn viele der von der Stiftung Warentest geprüften Kreditinstitute hatten ohne Wissen und ohne Zustimmung des Betroffenen eine Kreditanfrage angegeben, obwohl die Kunden sich nur nach den Kreditkonditionen erkundigen wollten. Statt bei den Banken auf eine Änderung der Praxis zu drängen, fordert eine nach der Veröffentlichung der Testergebnisse von der Schufa herausgegebene Presseerklärung die Kunden dazu auf, selbst dafür zu sorgen, dass ihr Anliegen von den Banken nicht missverstanden wird: »Verbraucher, die sich nur nach Kreditkonditionen erkundigen möchten, sollten darauf hinweisen.« Auf diese Weise schiebt die Schufa die Verantwortung für das fehlerhafte Verhalten den Verbrauchern zu.
Vielfach wird beim Scoring von der Adresse auf die Zahlungskraft geschlossen. Dieses neudeutsch als »Georeferenzierung« bezeichnete Verfahren hat eine lange Tradition. In seiner Urform wurden in den USA seit den Zwanzigerjahren Stadtteile mit Bonitätsnoten versehen. Auf Landkarten wurden die Viertel mit weniger zahlungskräftiger Bevölkerung rot umrandet, während die besseren Stadtteile gelb oder blau gekennzeichnet wurden. Die Bewohner rot markierter Stadtteile hatten praktisch keine Chance auf einen Kredit. Die Ergebnisse des »Redlining« lassen sich bis heute besichtigen: Da die Bewohner der entsprechend gekennzeichneten Stadtteile als nicht kreditwürdig galten, zogen die Familien, die es sich irgendwie leisten konnten, in besser klassifizierte Gegenden um, sodass sich die soziale Zusammensetzung der verbliebenen Bewohnerschaft immer weiter verschlechterte. Die finanzielle Risikobewertung führte auf diese Weise zur Verslumung ganzer Stadtregionen, wobei insbesondere ethnische Minderheiten auf der Strecke blieben. Es ist zu befürchten, dass die modern anmutende georeferenzierte Risikobewertung und entsprechende Scoring-Verfahren ähnliche Effekte auslösen und nicht nur für den betroffenen Einzelnen, sondern für ganze Regionen gravierende negative Konsequenzen haben werden.
Auskunfteien weisen den Vorwurf weit von sich, die von ihnen weitergegebenen Score-Werte würden über die Kreditwürdigkeit des Kunden entscheiden. Die Bewertung obliege stattdessen stets dem Empfänger, also dem Kreditinstitut, dem Versandhandelsunternehmen oder der Wohnungsgesellschaft. Richtig daran ist, dass es letztlich Sache der Bank ist, ob sie dem Kunden überhaupt einen Kredit gewährt oder von ihm höhere Zinsen verlangt, um ein statistisch höheres Risiko abzudecken. Das Datenschutzrecht verbietet zwar »automatisierte Einzelentscheidungen«. Die Praxis vieler Kreditinstitute, den Score-Wert automatisiert in die formularmäßige Konditionenberechnung einzubeziehen, kommt jedoch einer solch verbotenen rein maschinellen Entscheidung ziemlich nahe, auch wenn ein Banksachbearbeiter dem Kunden das Ergebnis der automatisierten Berechnungen persönlich mitteilt: Wer einen schlechten Score hat, muss mehr zahlen.
Auch wenn es Daten- und Verbraucherschützern nach langwierigem zähem Ringen bisweilen gelingt, die Praxis einiger Auskunfteien etwas transparenter und verbraucherfreundlicher zu gestalten, ist damit noch keine Entwarnung gegeben. Das Diskriminierungs- und Ausgrenzungsproblem steht in engem Zusammenhang mit den beim Scoring verwendeten »objektiven« Verfahren, bei denen aus bestimmten persönlichen Angaben (etwa Alter oder Anschrift) auf Risiken geschlossen wird. Sie bergen schon deshalb die Gefahr sozialer Diskriminierung, weil der Betroffene nur geringe Chancen hat, durch eigenes Verhalten negative Bewertungen zu beeinflussen.
Manche datenschutzrechtliche Regelung stößt beim Scoring an ihre Grenzen. So ziehen Auskunfteien den Personenbezug der verwendeten Daten in Zweifel. Es wird behauptet, Score-Werte würden generell
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