Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
keinen Personenbezug aufweisen, weil sie lediglich Annahmen über statistische Wahrscheinlichkeiten enthielten. Wenn man bedenkt, dass persönliche Bewertungen des Betroffenen den Hauptzweck des Scoring darstellen, ist dieses Argument wenig überzeugend.
Auch die Auskunftsrechte der Betroffenen werden beim Scoring vielfach missachtet. So wird den Betroffenen die Information darüber vorenthalten, welche personenbezogenen Daten mit welcher Gewichtung in den Score-Wert einfließen, weil es sich dabei um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handele. Häufig wird der Score zudem bloß anlassbezogen errechnet und weitergegeben, aber nicht dauerhaft gespeichert. Der Score ist in diesen Fällen ein dynamischer Wert, der sich ständig ändert, indem weitere oder aktuellere Daten in die Berechnung aufgenommen werden. Da die Werte nicht gespeichert werden, wird über sie auch keine Auskunft erteilt, obwohl sie die Entscheidung über die Vergabe von Krediten oder anderweitige Geschäftsabschlüsse beeinflusst haben. Die Auskunfteien berufen sich dabei darauf, dass das Bundesdatenschutzgesetz lediglich die Erteilung von Auskünften über gespeicherte Daten vorschreibt. Zwar berechnet die Schufa seit einiger Zeit auf Anfrage gegen Gebühr den tagesaktuellen Score des Betroffenen. Dieser Wert weicht jedoch vielfach von demjenigen ab, der in der Vergangenheit an die Schufa-Partner übermittelt wurde. Andere Auskunfteien geben den Betroffenen nicht einmal diese Informationen. Ärgerlich ist schließlich, dass die Auskunfteien – anders als alle anderen öffentlichen und privaten Stellen – für die datenschutzrechtliche Selbstauskunft eine Gebühr kassieren dürfen, weil die Betroffenen diese Information wirtschaftlich verwerten könnten. Dies ist dringend änderungsbedürftig.
Bei allem Verständnis für das legitime Interesse der Wirtschaft, sich vor Betrügern, schwarzen Schafen und zahlungsunfähigen oder -unwilligen Kunden zu schützen, dürfen die Folgen der immer detaillierteren Erfassung und Bewertung nicht aus dem Auge verloren werden. Gefahren entstehen insbesondere, wenn Systeme zusammengeschaltet werden oder wenn beliebig aus allen Systemen Informationen abgerufen werden können. Es darf nicht dazu kommen, dass zum Beispiel jemand, der im Alter von zwanzig Jahren selbst nach einer Mahnung einmal eine Rechnung nicht bezahlen konnte, anschließend kein Konto mehr eröffnen kann, keine Wohnung findet, keinen Versicherungsvertrag bekommt und ihm selbst der Zahnersatz nur gegen Vorkasse gewährt wird, weil auch Zahnärzte über Auskunfteien die Bonität ihrer Patienten abfragen, bevor sie an ihnen kostenintensive Behandlungen vornehmen.
Deshalb sind hier klare rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich, die eine solide Datengrundlage gewährleisten, insbesondere eine Beschränkung auf relevante individuelle Informationen zu Zahlungsverhalten, Einkommens- und Vermögensverhältnissen. Außerdem muss die Transparenz des Verfahrens sichergestellt werden, das heißt, der Betroffene muss gebührenfrei über die berücksichtigten Daten und Merkmale, deren Gewichtung bei der Berechnung des Score-Wertes und über den Score-Wert selbst informiert werden.
Viele Bürger geraten zudem ohne eigenes Fehlverhalten in elektronische Warnsysteme, sei es aufgrund einer Verwechslung oder durch sonstige Systemfehler. Selbst wenn das falsche Datum im Warnsystem berichtigt wurde, erfährt der Betroffene im Regelfall nicht, an wen die Fehlinformation bereits übermittelt wurde und welcher Schaden dadurch entstanden ist. Auskunfteien berufen sich in diesen Fällen häufig darauf, nicht gespeichert zu haben, an wen sie wann welche Daten übermittelt haben. Was für die Auskunftei nur ein nicht korrektes Datum unter Millionen anderer Daten ist, kann aber für den Betroffenen existenzgefährdend sein. Abhilfe könnte ein gesetzlicher Anspruch schaffen, der bei Weitergabe unrichtiger Informationen oder im Falle rechtswidriger Übermittlungen die dafür verantwortliche Stelle verpflichet, daraus resultierende negative Folgen zu beseitigen, und zwar nicht nur im eigenen System, sondern auch überall dort, wo sich durch Fortpflanzung des Fehlers für den Betroffenen nachteilige Auswirkungen ergeben haben können (im Schadensersatzrecht spricht man treffend von »weiterfressenden Schäden«). Die Auskunftei müsste alle Stellen, an die sie das unrichtige Datum übermittelt hat, über die Fehlinformation aufklären.
Um der öffentlichen Kritik
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