Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
Dusty die Hände auf die Schultern.
Er spielt mit ihren Haaren.
Sie sieht erwartungsvoll zu ihm hinauf. Ich sehe ihr an, wie sehr sie auf ein Geschenk wartet, irgendein Geschenk, diese Art Geschenk, die er immer so freigebig verteilt.
Oh, ich sehe es ihr an. Sie denkt: Jetzt wird vielleicht alles wieder, wie es war, jetzt wird vielleicht alles wieder wie früher.
Wie sie dasteht, ihn so offen ansieht, wie sonst niemanden – ich denke auf einmal, ich sollte mich abwenden. Ich habe das Gefühl, etwas zu sehen, das niemand sehen sollte. Wie ein Kribbeln am Hals, als wäre da etwas, das ich abschütteln muss.
Sie wartet auf ihn, wippt auf und ab, und was sie bekommt, ist:
»Vielleicht solltest du nach Hause gehen.«
Die frohe Erwartung verschwindet von ihrem Gesicht.
Er wirft mir einen kurzen Blick zu, und sie sieht es.
Ein Staffelholz wurde weitergegeben, von ihr zu mir, obwohl sie das gar nicht wollte. Obwohl sie es noch fest umklammert hielt.
Ihre Adleraugen blicken mich an, sehen durch meine Kleidung, meine Haut, mein alles.
Sie sieht direkt in mein Innerstes. Ich verstehe es nicht ganz, aber es ist, als würde sie etwas in mir sehen, und in ihm, das ich selbst noch nicht sehe.
»Ich fahre wieder zu Nana«, murmelt sie und streckt die Hand nach ihrer Tasche aus.
»Dusty«, sagt er, runzelt die Stirn, legt ihr den Arm um die Schultern.
»Lass mich«, sagt sie, ruppig, sie zuckt zurück, ihr Arm geht nach oben, als wollte sie ihn abwehren, als ob sie auf dem Spielfeld wären und er hätte den Schläger zu hoch genommen.
Sie nimmt das Klemmbrett. Einen verrückten Moment lang glaube ich, dass sie es durch die Gegend werfen will.
Er tritt einen Schritt auf sie zu.
»Lass mich, lass mich, lass mich«, sagt sie, ihr Kopf ruckt vor und zurück.
Verwundert steht Mr. Verver da, die Hände in der Luft wie bei einem Überfall.
»Ich will sie nicht sehen«, sagt Dusty. »Ich will hier nicht sein. Ich kann nicht.«
Sie drückt mir das Klemmbrett in die Hand, macht auf dem Absatz kehrt, und schon ist sie weg.
Mr. Verver schüttelt den Kopf. Schüttelt den Kopf und sieht mich an.
Ich spiele am Klemmbrett herum und weiß nicht, was ich sagen soll.
Er dreht sich um und sieht an die Decke. Dann sagt er: »Bis vor ein paar Wochen wollte sie nie mehr als eine Stunde dort verbringen.«
Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass er von ihren Großeltern redet. Komisch, dass er darüber nachdenkt, wo sie hin will, und nicht darüber, wie sie sich ihm gerade gezeigt hat. Was sie gezeigt hat.
»Sie konnte das Rosenparfum nicht leiden«, sagt er, »und dass der Staubsauger den ganzen Tag an war.«
Ich nicke.
»Aber wahrscheinlich ist das alles einfach zu viel für sie«, sagt er. »Es nimmt einen ganz schön mit.«
Er sieht mich immer noch an.
Er wirkt überwältigt, von allem. Ich würde ihn gern davor beschützen.
Detective Thernstrom und Mr. Verver unterhalten sich in einer Ecke. Alles ist voller Polizisten, und alles knistert irgendwie.
Ich frage mich, wer mir erzählen wird, was eigentlich passiert ist. Wie ist sie zurückgekommen? Und woher? Wo ist Mr. Shaw? Und dann denke ich insgeheim, dass jetzt auch meine ganzen Lügen auffliegen werden.
Irgendwie bringe ich es nicht fertig, Mr. Verver zu fragen. Die Sache mit Dusty scheint ihn aber nicht weiter zu beschäftigen. Er hat es einfach so abgeschüttelt. Um uns herum fliegen die Funken, überall Angst und Erleichterung.
»Sie kann im Moment mit niemandem reden«, sagt Mr. Verver, als der Detective gegangen ist. »Sie haben sie mit Medikamenten vollgestopft. Aber es geht ihr gut. Es geht ihr gut. Ach Lizzie, wenn du sie sehen könntest.«
Ich habe sie gesehen, würde ich gern sagen. Ich habe alles gesehen.
»Die Polizei … Haben sie …«, setze ich an.
»Sie wissen noch nicht alles«, sagt er. »Er ist wieder abgehauen. Du hast ja gesehen … Er hat ihr die Haare gefärbt.«
Wir lassen diesen Gedanken zwischen uns im Raum stehen. Ich empfinde ihn als Stechen in der Brust.
»Er hätte das durchgezogen«, fügt er hastig hinzu. »Soviel wir wissen, konnte sie … ihm entkommen. Eine Kellnerin im Donutladen auf der Fall Road sagt, sie hat ein Mädchen aus einem Auto steigen und in den Wald gehen sehen. Sie muss ihm irgendwie entkommen sein und ist nach Hause gelaufen. Vier Meilen.«
Mein Kopf ist voller Fragen. Das kommt mir alles so seltsam und unrealistisch vor.
»Und sie wissen nicht, wo er ist?«
»Nein«, sagt er so schnell, als ob er
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