Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
Vom Netzwerk:
herrlichen ersten Tagen nach Evies Verschwinden. Den Tagen, in denen die Schwere und die Schönheit dieser Liebe mich umhauten. Eine solche Liebe wie die von Mr. Shaw zu Evie, eine Liebe, so groß, dass er nicht dagegen ankam, dass sie sie beide verschlang.
    »Weil er mit ihr fertig war, Lizzie«, sagt Joannie schnell und ungeduldig. »Er war mit ihr fertig, das war’s. Er hat sie aufgebraucht.«
    »Glaube ich nicht«, sage ich. »Das hört doch nicht einfach auf.«
    Alle drei gucken mich an, sie haben alle die gleiche Sonnenbräune. Sie gucken mich an und glauben, sie wüssten alles auf der Welt.
    »Was hast du denn gedacht«, sagt Joannie, »dass er sie heiratet?«
    »Romeo und Julia«, quakt Kelli.
    »Willst du den Rest noch hören oder nicht?«, fragt Tara und hüpft fast auf ihrem Platz herum.
    Ich weiß, was kommt. Ich weiß es, weil Taras Lippen so glänzen und ihr ganzer Körper bebt.
    Jetzt kommt der Teil, auf den ich die ganze Zeit gewartet habe, voller Angst und Inbrunst.
    »Sie haben sie gynäkologisch untersucht«, sagt Tara, lässt sich in die Sofakissen sinken und sieht uns an.
    Kelli windet sich.
    »Sie haben diese ganzen Untersuchungen gemacht«, sagt Tara, als würde sie einen Bericht vorlesen. »Tripper, Syphilis, Herpes und Schwangerschaft. Bestimmt auch Aids.«
    Wie auf dem Poster in Gesundheitslehre. Das mit den großen, roten Buchstaben, lang gestreckt und beängstigend: Jeder kann sich mit HIV infizieren. Schützen Sie sich.
    Ich stelle mir Evie auf einem weißen Laken vor, eine Reihe von Sonden wie eine Stahlklaue zwischen ihren Beinen. Mir wird schlecht.
    Tara trinkt genüsslich Limo. Dann sagt sie: »Sie ist sauber.«
    Joannie sackt an der Wand ein bisschen zusammen.
    »Aber im Vertrauen, Mädels«, sagt Tara und stülpt die Lippen über den Strohhalm, »er hat es getan. Alles.«
    »Was hat er getan?«, frage ich und beiße die Zähne zusammen.
    »Er hat sie in zwei Teile gerissen«, sagt sie mit einem wissenden Nicken, und ich würde ihr am liebsten eine scheuern.
    »Er hat sie …«, sagt Kelli mit dünner Stimme, und ihr bleibt der Mund offen. »Er hat …«
    »Wahrscheinlich fünfmal am Tag«, sagt Tara. »Unten alles aufgerissen.«
    Sie lässt sich zurückfallen und wackelt mit den Fingern über ihrem Unterleib. Meine Haut kribbelt, und mir wird kalt.
    »Aber ihr geht’s gut«, sage ich und frage mich, woher Tara das alles weiß. Kann das sein?
    Tara verdreht die Augen. »Wie gut soll’s ihr schon gehen? Er hat sie zerstört.«
    Wie sie das sagt, klingt es altmodisch, wie aus einem alten Buch, so ein großes, gebundenes Buch, wie meine Großmutter sie liest, mit Rosen und Silberschrift auf dem Cover, oder aus einem Schwarz-Weiß-Film, in dem die Frauen alle mit so hohen, eleganten Stimmen sprechen und am Ende einer Szene immer Klaviermusik aufbrandet.
    Aber es klingt auch wahr. Es klingt wahr.
    Evie bleibt zwei Tage im Krankenhaus. Viel länger als es zuerst hieß.
    Meine Mutter meint, wahrscheinlich ist es, weil sie mit »den emotionalen Folgen« zu kämpfen hat, aber die Zeit scheint zu kriechen.
    Ich soll das Haus nicht verlassen, niemand weiß, wie er sich verhalten soll. Müssen Eltern sich vor dem flüchtigen Mr. Shaw fürchten? Gibt es einen Grund, sich zu fürchten? Am zweiten Tag sorgt meine Mutter dafür, dass Ted mich mit zur Arbeit nimmt, und ich sitze im klimatisierten Clubhaus und sehe ihm dabei zu, wie er in der Sommerhitze Zweige aus den Bäumen schneidet.
    Wir essen zusammen in der Personalkantine zu Mittag, ziehen Cellophanfolie von pappigen Thunfischsandwichs.
    Ich kann nichts essen, Ted isst beide Sandwichs und zwei Bananen und trinkt eine Tüte Milch.
    Ich frage ihn, was er glaubt, warum Evie noch im Krankenhaus ist.
    Er zuckt die Achseln, dann breitet er die Arme aus. Sie sind voller kleiner Schnitte von den Zweigen, wie auf einem Heiligenbild. Das erinnert mich an etwas.
    »Wahrscheinlich müssen sie sie erst wieder zusammennähen«, sagt er, sein Blick gleitet an mir vorbei zu den Mädchen im Pool auf der anderen Seite der Scheibe. Diesen Sommer haben sie alle diese Bikinis mit Perlen am Ende der Schnüre. Sie klickern beim Gehen.
    Er beobachtet sie, und ich kann nur an Evie und eine lange Nadel denken, wie bei Schwester Stang. Aber da unten. Da unten.
    »Zusammennähen«, flüstere ich kaum hörbar.
    »Jo«, sagt Ted und sieht mich wieder an. Er nimmt ein Stück Frischhaltefolie, noch mit Mayonnaise verschmiert, und zieht es straff.
    »Halt mal«, sagt

Weitere Kostenlose Bücher